Wissen: Wie funktioniert der Global Shutter?

Seit der Vorstellung der Sony Alpha 9 III wird viel über den Global Shutter (Globaler Verschluss) diskutiert. Dessen Ursprünge sind allerdings deutlich älter. Wir beschreiben, wie die Technologie funktioniert, worin die Neuerung in der Alpha 9 III besteht und wie sich ein globaler Verschluss weiterentwickeln könnte.

Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann

freier Journalist und Technikexperte

Rolling und Global Shutter, Sony Alpha 9 III

Beim Gobal Shutter werden alle Pixel gleichzeitig statt zeilenweise ausgelesen. Die Alpha 9 III ist die erste Fotokamera mit CMOS-Sensor und
globalem Verschluss.

Foto & Illustration: © Sony

Ein Global Shutter startet und beendet die Belichtung im gesamten Bildfeld gleichzeitig. Sein Prototyp ist der Zentralverschluss im Objektiv, dessen Lamellen sich in der Blendenebene bewegen. Ein Zentralverschluss öffnet sich zwar von innen nach außen und schließt sich in der umgekehrten Richtung, wirkt sich dabei aber auf alle Bildbereiche in gleicher Weise aus – genauso wie sich beim Abblenden das ganze Bild und nicht nur dessen Rand abdunkelt.

Der 1888 patentierte Schlitzverschluss, dessen zwei Vorhänge sich vor der Bildebene bewegen, belichtet dagegen sequenziell. Der erste Verschlussvorhang gibt den Film oder Sensor langsam von oben nach unten frei, während der ihm folgende zweite Vorhang den Weg des Lichts wieder schließt. Zwischen den beiden Vorhängen entsteht ein Schlitz, durch den das Bild von oben nach unten belichtet wird.
Wenn sich ein Motiv bewegt, wird unten daher eine spätere Bewegungsphase als oben abgebildet, woraus um die Wende zum 20. Jahrhundert noch charakteristische Verzerrungen resultieren konnten. Die Vorhänge in einem modernen Schlitzverschluss sind allerdings schnell genug, dass dies in der Praxis kein Problem mehr darstellt.

Mechanischer Schlitzverschluss aus der Nikon D4

DSLRs nutzen einen mechanischen Schlitzverschluss – im Bild aus der Nikon D4. Dabei wandert ein Schlitz zwischen den beiden Verschlussvorhängen über den Sensor.

Foto: © Nikon

Will man den Verschlussablauf mit einem Blitz synchronisieren, darf der Blitz erst zünden, nachdem der erste Vorhang das Bild vollständig freigegeben hat, und der zweite Vorhang darf sich erst nach dem Blitz schließen. Bei kürzeren Verschlusszeiten würde nur ein Teil des Bildes belichtet. Als globaler Verschluss kennt ein Zentralverschluss diese Einschränkung nicht und erlaubt eine Blitzsynchronisation bei allen Verschlusszeiten. Bei Verwendung eines sequentiellen Verschlusses kann man extrem kurze Verschlusszeiten nur im HSS-Modus (High Speed Sync) des Blitzgeräts nutzen: Es erzeugt dann hochfrequentes Stroboskoplicht, das sich wie Dauerlicht verhält. Dabei wird die Blitzleistung über eine längere Zeit gestreckt, wobei nur ein Bruchteil des Blitzlichts den Film oder Sensor erreicht.

Zentralverschluss von Hasselblad

Der Zentralverschluss – hier von Hasselblad – sitzt im Objektiv und kann den Blitz mit allen Verschlusszeiten synchronisieren.

Foto: © Hasselblad

CCDs mit Global Shutter

Vor 20 Jahren dominierten CCD-Sensoren in der Digitalfotografie. In ihrer einfachsten Form als „Full-Frame“-CCD nutzten diese Sensoren fast die gesamte Pixelfläche, um Licht zu sammeln und elektrische Ladungen zu speichern – „Full-Frame“ hat hier also nichts mit „Vollformat“ zu tun. Im Interesse der Bildqualität wurde diese Variante in den meisten DSLRs dieser Zeit eingesetzt, die zur Belichtungssteuerung einen mechanischen Schlitzverschluss nutzten. In Kompaktkameras wurden dagegen oft Interline-transfer-CCDs verwendet, mit denen sich ein globaler elektronischer Verschluss realisieren ließ. Auf diesen Sensorchips teilten sich jeweils zwei Pixel jedes Quadrat im Pixelraster, wobei eines der Pixel vor Licht geschützt war. Nach dem Ende der vorgewählten Belichtungszeit wurden die gesammelten elektrischen Ladungen aller lichtempfindlichen Pixel auf einen Schlag in den Ladungsspeicher des lichtgeschützten Nachbarpixels übertragen. Aus diesen Pixeln konnten sie dann in aller Ruhe ausgelesen werden, da der weitere Lichteinfall nichts mehr an ihrem Inhalt änderte.

Kompaktkameras mit Interline-transfer-CCDs boten sehr kurze Verschlusszeiten bis zu 1/16.000 s, die sich prinzipiell auch mit einem Blitz synchronisieren ließen, und sie blieben frei von Verzerrungen bewegter Motive. Als einzige DSLR verwendete die Nikon D70 (2004) einen solchen Sensor mit globalem elektronischen Verschluss. Ihr Schlitzverschluss hatte eine kürzeste Verschlusszeit von 1/500 s; noch kürzere Belichtungszeiten bis 1/8000 s wurden mit dem elektronischen Verschluss gebildet. Bei allen Vorzügen eines globalen elektronischen Verschlusses hatten Interline-transfer-CCDs jedoch den Nachteil, dass nur die Hälfte ihrer Fläche lichtempfindlich war. Während sich dieses Manko noch durch Mikrolinsen zur Bündelung des Lichts kompensieren ließ, blieb es bei Halbierung der Ladungsspeicher und einem daher um eine Blendenstufe schlechteren Dynamikumfang und Rauschabstand. Wenn es um höchste Qualitätsansprüche ging, konnten sich Interline-transfer-CCDs daher nie durchsetzen.

Illustration Sensor/Pixel

Wenn jedes Quadrat im Sensorpixelraster jeweils zwei Pixel enthält, von denen eines vor Licht geschützt ist, kann man einen globalen Verschluss realisieren. Nach dem Ende der Belichtungszeit werden die elektrischen Ladungen aller lichtempfindlichen Pixel auf einen Schlag in den Ladungsspeicher des lichtgeschützten Nachbarpixels übertragen. Dieses von Interline-transfer-CCDs bekannte Prinzip ist auch auf CMOS-Sensoren übertragbar.

Illustration: © Michael J. Hußmann
Illustration Pixel

DSLRs nutzten früher keine Interline-Transfer-, sondern „Full Frame“-CCDs, die einen besseren Dynamikumfang ermöglichten.

Illustration: © Michael J. Hußmann

CMOS ändert alles

Nachdem Canon schon seit dem Jahr 2000 auf CMOS-Sensoren in DSLRs gesetzt hatte, verdrängten diese ab 2005 auch bei anderen Herstellern die bis dahin dominierenden CCDs. Die CMOS-Technologie ging mit aktiven Sensorpixeln einher, wobei „aktiv“ dafür steht, dass die Pixel neben einer lichtempfindlichen Fotodiode und dem Ladungsspeicher noch Transistoren enthalten – die Elektronik zur Steuerung und zum Auslesen wurde in die Sensorpixel selbst verlagert. Zwei Transistoren in jedem Pixel fungierten als Schalter, mit denen der Ladungsspeicher entleert beziehungsweise ausgelesen wurde; ein dritter diente der Verstärkung der ausgelesenen Spannung. Später kamen weitere Transistoren dazu. Einer davon erlaubte, nacheinander die Spannung eines vollen und eines leeren Ladungsspeichers zu messen („Correlated Double Sampling“), um sie voneinander abzuziehen und so das Rauschen zu verringern. Mit einem fünften Transistor war eine Umschaltung zwischen einem großen und einem kleinen Ladungsspeicher möglich; bei höheren ISO-Werten, bei denen man ohnehin nur kleine Ladungen sammelt, kann man den Ladungsspeicher verkleinern und damit die Spannung vergrößern.

Rolling Shutter als Notlösung

DSLRs mit Full-Frame- statt Interline-transfer-CCDs hatten zunächst gar keinen elektronischen Verschluss; sie steuerten die Belichtung mit einem mechanischen Schlitzverschluss, genauso wie die analogen SLRs zuvor. Die hohe Bildfrequenz einer Live-View oder eines Videomodus war dann allerdings nur mit einem elektronischen Verschluss erreichbar. Dessen bei CMOS-Sensoren bis heute gängigste Form ist der „Rolling Shutter“, bei dem die Belichtung von oben nach unten über den Sensor „rollt“. Die Sensorpixel werden zeilenweise zurückgesetzt (also ihre Ladungsspeicher entleert) und nach Ablauf der vorgewählten Belichtungszeit ausgelesen, um die Belichtung zu beenden. Wie lange es dauert, bis alle Pixelzeilen belichtet sind, hängt davon ab, wie viel Zeit das Auslesen (einschließlich der Analog/Digital-Wandlung) benötigt. Eine schnellere A/D-Wandlung geht durchweg auf Kosten von Dynamikumfang und Rauschabstand – es können dann statt 14 nur noch 12 Bits digitalisiert werden, denn zusätzliche Bits enthielten nur noch Rauschen. Umgekehrt macht eine Digitalisierung von 16 Bit den Rolling Shutter noch einmal langsamer.

Drohne im Flugmodus

Der Rolling Shutter eines CMOS-Sensors verzerrt schnelle Motive, wie hier die Rotorblätter einer Kameradrohne.

Foto: © Michael J. Hußmann

In seinen Eigenschaften ähnelt der Rolling Shutter dem Schlitzverschluss, war aber zunächst um den Faktor 10 langsamer. Eine Blitzsynchronisation blieb damit lange ausgeschlossen, wenn man nicht auf HSS ausweichen wollte – und Verzerrungen bewegter Motive wurden wieder zu einem realen Problem. Die Fujifilm X-H2S hat es zwar geschafft, den Sensor mit einem Rolling Shutter in 1/151 s auszulesen, allerdings nur bei einer Auflösung von 26 Megapixeln. Angesichts der immer weiter steigenden Pixelzahlen wird es schwieriger, mit einem Schlitzverschluss auch nur mitzuhalten. Um dessen Begrenzungen zu überwinden, ist ein globaler elektronischer Verschluss nötig.

Der heilige Gral: CMOS-Sensoren mit Global Shutter

Die Transistoren eines aktiven CMOS-Sensorpixels beanspruchen wertvollen Platz auf der knappen Fläche, die im Pixelraster zur Verfügung steht, gehen also auf Kosten der lichtempfindlichen Fläche und des Ladungsspeichers. Man kann auch mit aktiven Pixeln einen elektronischen Verschluss realisieren, wozu ein zweiter Ladungsspeicher und ein weiterer Transistorschalter nötig sind. Für industrielle Anwendungen, bei denen eine verzerrungsfreie Abbildung wichtiger als die Bildqualität ist, werden solche CMOS-Sensoren tatsächlich schon seit Jahren gebaut, aber die Anforderungen der bildmäßigen Fotografie konnte sie lange Zeit nicht erfüllen.
Mit dem Sensor der Alpha 9 III scheint es Sony nun erstmals gelungen zu sein, diese Beschränkung des Einsatzspektrums von CMOS-Sensoren mit einem globalen elektronischen Verschluss zu überwinden.

Allerdings zeigt sich in den Details, dass diese Entwicklung Kompromisse erforderte. So hat Sony auf eine Umschaltung des Conversion Gain bei höheren ISO-Werten verzichtet. Die relativ hohe Grundempfindlichkeit von ISO 250 weist darauf hin, dass die zusätzlichen Komponenten zulasten der Ladungsspeicher gehen: Je kleiner die Ladungsspeicher, desto schneller laufen sie über und desto knapper muss der Sensor belichtet werden – also gemäß eines höheren ISO-Werts. Bei seiner Grundempfindlichkeit kann der Sensor daher weniger Licht sammeln und bei höheren ISO-Werten lassen sich seine Ladungsspeicher nicht weiter verkleinern, um die zu digitalisierende Spannung zu vergrößern.

Weiterentwicklung des Global Shutters

Die Sony Alpha 9 III nutzt den globalen Verschluss für extrem kurze Belichtungszeiten ohne Verzerrungen und eine Blitzsynchronisation ohne Beschränkung der Verschlusszeit, aber damit sind dessen Möglichkeiten noch nicht erschöpft. Man könnte die für eine optimale Belichtung nötige Verschlusszeit in eine schnelle Folge von Teilbelichtungen zerlegen, deren Ergebnisse dann in der Kamera verrechnet werden. Da jede einzelne Belichtung sehr knapp wäre, spielte die Größe der Ladungsspeicher keine Rolle mehr; die Lichter könnten nicht mehr ausfressen und der Dynamikumfang würde steigen. Die Grundempfindlichkeit ließe sich auf diese Weise beliebig absenken, womit ein Zuwachs an Dynamikumfang einherginge. Neben einem globalen elektronischen Verschluss muss dazu ein hoher Datendurchsatz in der Kamera unterstützt werden, wie es die Alpha 9 III bereits ansatzweise tut.

Sigma hat mit der fp und fp L gezeigt, wie sich durch die Verrechnung von Teilbelichtungen niedrige ISO-Werte bis ISO 6 verwirklichen lassen, allerdings mit allen Nachteilen eines langsamen Rolling Shutter und noch ohne Zugewinn an Dynamikumfang.

Auch die Entwicklung der Sensortechnologie wird weitere Fortschritte machen und hier gibt es bereits erste Ergebnisse. Die Platzprobleme der immer zahlreicheren Komponenten eines aktiven Sensorpixels könnte man beheben, indem man die Aufgaben eines Pixels auf zwei Chips aufteilt. Zwar ist schon der Sensor der Alpha 9 III ein Stapel aus zwei Schichten, aber der eigentliche Sensor nutzt nur die obere, dem Licht zugewandte Etage. Auf der unteren befinden sich Speicherbausteine, in denen die digitalisierten Bilddaten gepuffert werden, bevor sie der Kameraprozessor auslesen kann. Sony hat aber auch schon eine Technologie entwickelt, die Pixelkomponenten selbst aufzuteilen: Die obere Schicht bleibt dann der Fotodiode mit dem Ladungsspeicher vorbehalten, während die Transistoren in der unteren Schicht Platz finden. Auch ein zweiter Ladungsspeicher, der ja ohnehin vor Licht geschützt werden muss, ließe sich in das Kellergeschoss verlagern.

Illustration eine Stacked-CMOS-Sensors

Bei einem „Stacked-CMOS“-Sensor in BSI-Bauweise, wie ihn die Sony Alpha 9 III nutzt, liegen Schaltkreise und DRAM-Speicher unter der lichtempfindlichen Fläche aus Fotodioden.

Illustration: © Sony

Prinzipiell könnte man auf einen zweiten Ladungsspeicher auch vollständig verzichten, wenn man nicht nur alle Pixel in einer Zeile gleichzeitig ausliest und digitalisiert, wie es der aktuelle Stand der Technik ist, sondern den gesamten Sensor. Eine solche massiv parallele A/D-Wandlung erfordert wiederum einen gestapelten Sensor, zweckmäßigerweise aus drei Schichten, dessen erste Ebene die Pixel, die zweite die A/D-Wandler und die dritte einen Pufferspeicher enthält. Bei einem 1,46-MP-Sensor ist Sony die gleichzeitige Digitalisierung aller Pixel bereits gelungen; ob dies auch bei den in der Fotografie üblichen Auflösungen klappen könnte, bleibt abzuwarten. Eine große Zahl paralleler A/D-Wandler erzeugt sehr viel Wärme, die wiederum das Rauschen vergrößert und daher abgeleitet werden muss.

Eine weitere Variante eines globalen elektronischen Verschlusses beruht darauf, die Umwandlung von Licht in Elektrizität steuerbar zu machen. Wenn man die Lichtempfindlichkeit eines Sensors von ihrem Maximum stufenlos bis auf Null reduzieren könnte, wäre das nicht nur die Basis für einen globalen Verschluss, sondern auch für ein regelbares ND-Filter. Ein solches Konzept hat Panasonic in einem organischen Sensor verwirklicht, bei dem der CMOS-Chip mit einem organischen Halbleiterfilm beschichtet ist. Der organische Halbleiter dient der Umwandlung von Licht in Elektrizität – als Umkehrung einer organischen Leuchtdiode (OLED), die aus Elektrizität Licht erzeugt. Der Sensorchip muss die Elektrizität nur noch speichern und auslesen. Mit einer Spannung, die man über eine transparente Elektrode an die organische Halbleiterschicht anlegt, lässt sich die Umwandlung steuern und der gesamte Sensor auf einen Schlag zwischen lichtempfindlich und -unempfindlich umschalten. Eine Nutzung dieser Sensortechnologie für die Fotografie steht aber noch aus.

Illustration transparente und Pixel-Elektrode

Ein organischer Sensor, an dem bspw. Panasonic arbeitet, hätte ebenfalls einen globalen Verschluss und könnte auch einen ND-Filter ersetzen.

Illustration: © Michael J. Hußmann

Fazit
Ein Global Shutter macht die Belichtungssteuerung flexibler, als es mit einem mechanischen Schlitzverschluss oder einem elektronischen Rolling Shutter möglich wäre; zudem unterstützt er noch kürzere Verschlusszeiten als ein Zentralverschluss. Auch durch den Verzicht auf verschleißträchtige bewegliche Teile erscheint er attraktiv; er arbeitet lautlos und erschütterungsfrei, ohne die Nachteile des ebenfalls elektronischen Rolling Shutter. In der Fotografie dürfte dem globalen elektronischen Verschluss in einer seiner technologischen Varianten die Zukunft gehören, wenngleich seine Durchsetzung auf breiter Basis wohl noch einige Jahre dauern wird.

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