"Wenn schon, denn schon“, dürfte sich Panasonic bei der Entwicklung der S1 und S1R gedacht haben. Heraus kamen zwei echte Boliden.
Zielgruppe der – äußerlich identischen – Kameras sind offensichtlich Fotografen, die sich ein möglichst robustes und großes Gehäuse wünschen, und auch nicht vor einem hohen Gewicht zurückschrecken. Gut ein Kilogramm bringt der Body mit Akku auf die Waage – mehr als das Doppelte der Canon EOS RP und auch die Nikon-Modelle Z 6 und Z 7 (ca. 675 Gramm) und Sonys Alpha-7-Reihe (ca. 650 Gramm) sind deutlich leichter.
Erweitern lassen sich die neuen Panasonic-Kameras übrigens mit dem Batteriegriff DMW-BGS1, der auch Hochformatbedienelemente mitbringt. Einen eingebauten Blitz gibt es wie bei Profikameras üblich nicht. Neben dem Blitzschuh besitzt die Kamera aber eine Synchronbuchse.
Wer sich auf Gewicht und Größe der neuen S-Modelle einlässt, wird mit einem tiefen Griff und relativ großen Bedienelementen belohnt. Deren Layout ähnelt dem Micro-Four-Thirds-Modell Lumix G9. Einzig der Ein-/Ausschalter ist anders positioniert und schlechter zu erreichen. Mit einem Lock-Hebel lassen sich alle Tasten und Räder gegen ein versehentliches Verstellen sperren.
Gesperrt ist auch das Moduswahlrad, das sich durch Drücken und Drehen bedienen lässt. Für Serienbilder bzw. Zeitrafferaufnahmen gibt es ein eigenes Rad, sodass der Fotograf diese schnell im Zugriff hat. Drei Einstellräder (vorne, hinten, Daumen) und ein AF-Joystick runden die gelungene Bedienung ab.
Verändert hat Panasonic die Menüführung. So muss man nun nicht mehr durch extrem lange Listen scrollen, um einen Eintrag zu finden, sondern es gibt zahlreiche Untermenüs, die alle hier angeordneten Einträge auf einen Blick zeigen. Das Quick-Menü lässt sich nun außerdem individuell konfigurieren. Selbstverständlich kann der Fotograf alle wichtigen Einstellungen in einem persönlichen Menü speichern.
Für das Fotografieren im Dunkeln lassen sich einige Tasten beleuchten und die Schulter-Displays zeigen wichtige Einstellungen auf einen Blick – den Akkustand und die Restbilder auf der Speicherkarte auch bei ausgeschalteten Kameras.
Apropos Speicherkarten: Die Kameras bieten Platz für zwei Speicherkartenlaufwerke, SD (UHS II kompatibel) und XQD. Im XQD-Laufwerk sollen sich – ähnlich wie bei der Nikon Z 6 und Z 7 – nach einem Firmware-Update auch CFexpress-Karten nutzen lassen. Die integrierte USB 3.1-Schnittstelle mit USB-C-Buchse erlaubt das Tethering mit der Software Lumix Tether (also die Fernsteuerung und Datenübertragung zum PC/Laptop).
Auch der Akku lässt sich per USB laden. Für die HDMI-Ausgabe steht die große Typ-A-Buchse zur Verfügung. Angenehm leise ist der mechanische Verschluss, der als kürzeste Zeit 1/8000 s schafft und für 400.000 Auslösungen ausgelegt ist. Ein Hebel auf der Vorderseite der Kamera erlaubt das schnelle Umschalten auf den lautlosen elektronischen Verschluss.
Groß (3,2 Zoll beziehungsweise 8,0 cm) und hochauflösend (2,1 Millionen RGBW-Punkte) ist auch der Monitor. Er nutzt einen ähnlichen Mechanismus wie Fujifilm in der X-T2, X-T3 und X-H1, lässt sich also nach oben (100 Grad) und unten (45 Gad) sowie nach rechts (60 Grad) klappen, aber nicht, wie in anderen Panasonic-Kameras, komplett aus der optischen Achse heraus nach links.
Die neue Konstruktion hat Vor- und Nachteile: So ist sie robuster und man kann den Monitor, beispielsweise bei Aufnahmen vom Stativ, schneller nach oben klappen ohne ihn vorher seitlich ausklappen zu müssen. Nachteil: Es fehlt die Selfie-Position, die nicht zuletzt bei Video-Bloggern beliebt ist, und auch ein Einklappen mit dem Display nach innen, das beim Transport vor dem Zerkratzen schützt, ist nicht möglich.
Besonders begeistert hat uns der Blick durch den Sucher – dank der Rekordauflösung von 5,76 Millionen Punkten und einem hervorragenden Kontrastverhalten wirkt er sehr natürlich und stellt die Konkurrenz in den Schatten. Mit einer Taste direkt neben dem Sucher lässt sich die Vergrößerung schnell von 0,78x auf 0,74x oder 0,7x ändern. Brillenträger haben möglicherweise bei der kleinen Darstellung einen besseren Überblick. Für eine absolut flüssige Darstellung lässt sich die Bildwiederholrate von 60 auf 120 fps umschalten.
Die neuen Kameras sind nicht nur äußerlich identisch, sondern haben auch – mit kleinen Ausnahmen – die gleiche Ausstattung. Und die hat es in sich. Beide bringen einen 5-Achsen-Bildstabilisator mit Sensorverschiebung mit, der sich mit dem Bildstabilisator im Objektiv kombinieren lässt. Dabei werden nicht nur Informationen des Gyrosensors herangezogen, sondern auch des Bildsensors und eines Beschleunigungssensors.
Der Kamerastabilisator alleine soll bis zu 5,5 Zeitstufen kompensieren, die Kombination mit dem Stabilisator im Objektiv sogar 6 Stufen. Tatsächlich gelangen uns im Test mit der S1 und dem S Pro 4/70-200 mm O.I.S. bei 200 mm scharfe Aufnahmen aus der Hand mit 1/3 s, was ungefähr sechs Stufen im Vergleich zur klassischen Verwacklungsregel entspricht. Eine interessante Funktion, die es bisher noch bei keiner Kamera gab, ist die „I.S. Status Anzeige“, die anhand eines wandernden grünen Punktes anzeigt, wie ruhig die Kamera in einer bestimmten Situation gehalten wird und wie gut die Stabilisierung wirkt.
Den verschiebbaren Sensor nutzen die Kameras auch, um vom Stativ acht minimal versetzte Aufnahmen zu einer hochauflösenden zusammenzusetzen: Die S1 schafft im High-Resolution-Modus mit Pixel-Shift 96 Megapixel, die S1R gar 187 Millionen – auch das ist ein Rekordwert! Die Kameras sind dabei außerdem in der Lage, Bewegungen – wie Zweige im Wind – zu erkennen und die daraus resultierende Bewegungsunschärfe zu reduzieren. Pixel-Shift-Aufnahmen aus der Hand (wie bei der Olympus E-M1X oder der Pentax K-1 II) sind allerdings nicht möglich.
Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten nutzt Panasonic wie schon bei seinen Micro-Four-Thirds-Kameras keine Phasen-Detektionspixel auf dem Sensor, sondern einen Kontrast-Autofokus, der durch die DFD-Technologie (Depth From Defocus) erweitert wird, die ähnlich wie die Phasendetektion die Richtung der Fokussierung erkennen kann. Neu bei den Autofokus-Modi ist die Personen- und Tiererkennung. Bei Menschen werden auch die Augen erkannt.
Zwischen linkem und rechtem Auge oder zwischen mehreren erkannten Personen bzw. Tieren kann man übrigens schnell durch das Drücken der Joystick-Taste wechseln. Das AF-Tracking funktionierte im Praxistest ähnlich gut wie bei der Sony Alpha 6400. Bei wenig Licht macht der AF ebenfalls eine gute Figur – die Empfindlichkeit reicht bis -6 EV.
Aufnahmen mit der Lumix S1
Auch die sonstige Ausstattung der S1 und S1R dürfte kaum Wünsche offen lassen. Dazu gehören eine spitzlichterbetonte Belichtungsmessung, die Details in hellen Bildbereichen erhalten soll, der HLG-Bildstil (Hybrid Log Gamma) für die Darstellung mit hohem Dynamikumfang auf HLG-konformen Panasonic-Fernsehern, Intervallaufnahmen, eine Flicker-Reduzierung für Aufnahmen unter pulsierendem Kunstlicht, Mehrfachbelichtungen, eine 3D-Wasserwaage, Wi-Fi und Bluetooth.
Als erste Vollformatkameras zeichnen die Lumix S1 und S1R 4K (3840 x 2160 Pixel) mit 60p auf; die maximale Datenrate liegt bei 150 MBit/s. Beim näheren Hinsehen hat die S1 die etwas besseren Spezifikationen. Während die S1R bei der Länge der 4K-Videos auf 15 Minuten beschränkt ist, liegt das Limit bei der S1 bei knapp 30 Minuten (60p) bzw. ist gar nicht begrenzt (bei anderen Bildwiederholraten).
Neben den in beiden Kameras verfügbaren Videoprofilen Cinelike D, Cinelike V und Like709 gibt es bei ihr auch den Bildstil Hybrid Log Gamma/Like2100. Er erzeugt HDR-Videos mit großem Dynamikumfang, die sich auf HLG-kompatiblen Panasonic-Fernsehern betrachten lassen. Zur Komprimierung lässt sich hier übrigens der besonders effiziente HEVC- alias H.265-Codec verwenden.
Noch in diesem Jahr soll es außerdem nur für die S1 ein voraussichtlich kostenpflichtiges Update geben, das unter anderem V-Log und 4:2:2 mit 10 Bit nachrüstet.
Nicht so eindeutig sind die Vorteile beim erfassten Bildfeld: Die S1R hat bei 4K nur einen minimalen Crop von 1,09x, die S1 bis 30p gar keinen, dafür allerdings bei 60p einen recht starken (1,5x). Zeitlupen nehmen beide Kameras ebenfalls auf und zwar 2fach in 4K (60 Bilder/s) und 6fach in Full-HD (180 B/s).
Selbstverständlich besitzen beide Mikrofon- und Kopfhöreranschlüsse (Miniklinke), per optionalem Adapter können auch Mikrofone mit XLR-Steckern verwendet werden.
Die hohe Videoauflösung können die neuen S-Modelle (wie die Lumix G9 und GH5) auch für 4K- bzw. 6K-Fotofunktionen verwenden. Hierbei werden kurze Videosequenzen aufgenommen, aus denen sich nachträglich Einzelbilder extrahieren lassen – bei 6K-Foto sogar mit 18 Megapixeln.
Möglich sind beispielsweise Post-Focus-Effekte. Hierbei kann der Fotograf nach der Aufnahme aus einer Fokusfahrt die gewünschte Schärfeebene auswählen und das entsprechende Bild als JPEG speichern. Wer will, kann die verschiedenen Schärfeebenen im Wiedergabemodus zu einer Aufnahme mit maximaler Schärfentiefe verrechnen (Focus Stacking).
Beide S-Modelle sind für eine maximale Auflösung mit CMOS-Sensoren ohne Tiefpassfilter ausgestattet. Anders als beispielsweise bei den Nikon-Modellen Z 6 und Z 7 oder der Sony Alpha 7R III handelt es sich nicht um rückseitig belichtete BSI- (Back Side Illumination), sondern um herkömmliche FSI-Sensoren (Front Side Illumination), was theoretisch eine etwas schlechtere Lichtausbeute zur Folge haben sollte. Zumindest bei der S1R will Panasonic dem durch verbesserte Mikrolinsen und Lichtwellenleiter entgegenwirken.
BSI hin, Lichtwellenleiter her: Am Ende zählen die Testergebnisse – und die können sich sehen lassen. Die 47-Megapixel-Kamera S1R erreicht im JPEG-Labortest mit dem S Pro 1,4/50 mm die gleiche Wertung von 90 % wie die bisher alleine führende Sony Alpha 7R III. Der Wirkungsgrad beträgt maximal 95 Prozent (bei ISO 100) und bleibt bis ISO 800 bei über 90 Prozent und bis ISO 6400 bei über 80 Prozent. Dabei ist auch das Rauschen gering und wird erst ab ISO 6400 leicht störend sichtbar – allerdings auch nur bei entsprechend großer Darstellung. Der Dynamikumfang liegt mit bis zu neun Blendenstufen etwa auf dem Niveau der Konkurrenz.
Die 24-Megapixel-Kamera S1 hat naturgemäß die deutlich geringere absolute Auflösung, wobei die Wirkungsgrade sogar noch etwas besser sind und auch bei ISO 3200 bei über 90 Prozent und bei 51.200 bei über 80 Prozent liegen! Beim Bildrauschen und dem Dynamikumfang sind die Unterschiede gering. Etwas anfälliger ist die S1 für Artefakte (Note 5 statt 4,5). Beide Kameras profitieren sichtbar vom High-Res-Modus, wobei der Vorteil bei der S1 deutlicher zu Tage tritt – in unserem Test beseitigte der High-Res-Modus beispielsweise Moiré-Artefakte bei feinen Strukturen.
Die Auslöseverzögerung haben wir im Labor wie üblich mit einem Zoom (24-105 mm) und Einzel-AF gemessen. Mit rund 0,12 s sind beide Kameras sehr schnell, was aber mehr oder weniger für alle im Testfeld gilt – die Zeiten zu langer Auslöseverzögerungen sind weitgehend vorbei. Serien schießen beide mit bis zu 9 Bildern/s, dann allerdings ohne AF-Nachführung. Praxisnaher sind die rund 6 Bilder/s mit AF-C. Der Pufferspeicher ist bei beiden Kameras üppig ausgelegt: die S1 schaffte in unserem Test fast 1000 JPEGs und 177 Raws in Folge, die S1R 56 JPEGs und 40 Raws.
FAZIT
Wer sich auf Größe, Gewicht und Preis der beiden Vollformater von Panasonic einlässt, erhält Kameras, die fast auf der ganzen Linie überzeugen. Die S1R ist zusammen mit der Sony Alpha 7R III sogar die beste jemals von uns getestete Digitalkamera. Schwachpunkt des neuen Systems ist die geringe Objektiv-Auswahl, was sich aber im Laufe des Jahres ändern dürfte, wenn Sigma wie angekündigt seine Objektive für das L-Bajonett auf den Markt bringt.
> Hier gelangen Sie zum Download der Tabelle mit allen Ergebnissen aus unserem Test (Canon EOS R, Nikon Z6, Nikon Z7, Panasonic Lumix S1, Panasonic Lumix S1R, Sony Alpha 7 III, Sony Alpha 7R III, Sony Alpha 9).
Labormessungen: Anders Uschold
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Dieser Test wurde in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN 4/2019 veröffentlicht.
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