Ähnlich wie Nikon bei seinem neuen spiegellosen Vollformatsystem Z, wartet Canon zum Start des R-Systems mit einem Standardzoom und einer lichtstarken Festbrennweite auf. Das Canon-Duo unterscheidet sich nur geringfügig von Nikons Premierenlinsen: Das Canon-Zoom RF 4/24-105 mm L IS USM ist etwas längerbrennweitig als das Nikkor 4/24-70 mm S, und das Canon RF 1,8/35 mm Macro IS STM ist eben ein Makroobjektiv mit dem größten Abbildungsmaßstab 1:2; Nikon hat dem Z 1,8/35 mm S keine Makrofunktion spendiert.
Während wir die Nikkore bereits in Ausgabe 11/2018 testen konnten, sind nun die später erschienenen Canon-Objektive im Testlabor an der Reihe. Auch sie erfahren im BAS-Digital-Test eine Sonderbehandlung: Da es keine passenden Kameras mit APS-C-Sensor gibt, konnten wir nur die optischen Leistungen im Vollformat prüfen. Deshalb ist bei den Optik-Gesamtnoten zu berücksichtigen, dass die Vollformatobjektive nicht von besseren Prozentwerten profitieren können, wie sie an kleineren Sensoren nicht selten erzielt werden.
Die Funktionsvielfalt der Testobjektive
Zu den Besonderheiten der neuen RF-Objektive zählt, dass alle bisher angekündigten einen Steuerring aufweisen. Dieser rastende, klackernde Ring kann via Kamera mit Funktionen wie Blendenwert, Verschlusszeit, ISO oder Belichtungskorrektur belegt werden. Da allerdings auch die bislang einzige R-Kamera diverse Einstellräder und Steuerflächen besitzt, lässt sich über den Sinn des Steuerrads diskutieren. Zumindest feiert auf diese Weise der (optionale) Blendenring bei Canon sein Comeback.
Weiterhin sind beide Testkandidaten mit einem Image Stabilizer (IS) ausgestattet. Das macht auf jeden Fall Sinn, denn die EOS R hat (im Gegensatz zu den Nikon Z-Modellen) keinen sensorbasierten Bildstabilisator. Beim RF 24-105 mm soll der IS bis zu fünf Blendenstufen ausgleichen können. Mechanisch ist das Zoom mit hohem Kunststoffanteil sehr gut gefertigt. Zu seinen weiteren Besonderheiten zählen der Spritzwasserschutz und ein Zoom-Lock. Der Nano-Ultraschallmotor fokussiert nahezu geräuschlos und sehr schnell.
Optisch spielt das Zoom in zwei Leistungsklassen: Im Weitwinkel ist die Auflösung bei Offenblende nur mäßig und erst bei Blende f/11 ist sie gut bis sehr gut. Besonders der Leistungsabfall von der Mitte zu den Bildecken hin ist dafür verantwortlich. Deutlich leistungsstärker verhalten sich die gemessenen Brennweiten 50 und 105 mm. Sie beginnen bei offener Blende auf erheblich höherem Niveau und steigern sich durch Abblenden um eine Stufe auf f/5,6 bereits auf ihre sehr guten bis ausgezeichneten Maximalwerte. Dass auch die Randabdunklung bei 24 mm am auffälligsten ist, überrascht nicht, doch sie ist „nur“ sichtbar und natürlich ausgeprägt. Bei den anderen Brennweiten ist sie sehr gut. Schwächen zeigt das 24-105 mm bei der Verzeichnung. Bei ausgeschalteter Korrektur in der Kamera zeigen sich deutliche Tonnen- bzw. Kissenformen.
Das RF Makro mit Stärken
Das Makroobjektiv 1,8/35 mm ist einfacher gebaut als das Zoom. Seine Kunststofffassung ist sehr gut gefertigt, doch beispielsweise fehlt eine Gummilippe am Bajonett zur Abdichtung und der STM-Autofokusmotor stellt akustisch deutlich vernehmbar scharf. Ungewöhnlich ist auch das verzögerte Ein- und Ausfahren des Objektivs, wenn die Kamera aus- bzw. eingeschaltet wird. Die Nahgrenze von 17 cm ist ausgezeichnet und für Makroaufnahmen prima. Beim Streulichtschutz zeigen sich wiederum einige Sparmaßnahmen an glänzenden Kunststoffoberflächen im Inneren, nicht zuletzt fehlt eine Streulichtblende im Karton.
Was das 1,8/35 mm in der mechanischen Prüfung an Punkten liegen lässt, macht es in der optischen Prüfung wieder wett. Seine Auflösung ist trotz der hohen Lichtstärke und des anspruchsvollen Vollformats äußerst anerkennenswert. Schon bei offener Blende ist der Wirkungsgrad gut bis sehr gut und bei Blende f/3,5 ist er ausgezeichnet. Da auch die Beugung keine Rolle spielt, besitzt das Makro einen überragenden nutzbaren Blendenbereich für einen flexiblen Einsatz. Seine Randabdunklung bei Offenblende beträgt rund einen Blendenwert und ist damit sichtbar, doch sie ist im Verlauf natürlich. Abgeblendet wird sie sehr gut. Ungewöhnlich hoch für ein Makro ist hingegen die sichtbare Verzeichnung.
Das Handling beider RF-Objektive
Was vielleicht banal klingt, aber im Alltag schnell zur Nervensäge werden kann, sind die Objektivdeckel. Die Frontdeckel greifen schlecht in die schmalen Filtergewinde, die Rückdeckel können nur mit ihrer Markierung an der roten Markierung des Objektivs angesetzt und festgedreht werden – tendenziell umständlich und lästig.
FAZIT
Canon hat mit den ersten beiden RF-Objektiven zum R-System einen guten Start hingelegt. Das darf der Kunde nach jahrelanger Entwicklungsarbeit auch erwarten. Beide Objektive sind nicht der Weisheit letzter Schluss und hätten leistungsmäßig noch Luft nach oben. Deshalb ergattern sie ihre „Super“-Siegel auch nur haarscharf. Es wird interessant zu sehen, wohin die Reise bei den optischen Leistungen der folgenden Objektive gehen wird.
Hier gelangen Sie zum Download der Tabelle mit allen Ergebnissen aus unserem Test (Canon RF 4/24 -105 mm L IS USM, Canon RF 1,8/35 mm Macro IS STM).
Labormessungen: Anders Uschold
Dieser Test ist in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN 12/2018 erschienen.
Redakteur Lars Theiß (DGPh) kümmert sich vorwiegend um Tests und Praxisthemen rund um Kameras, Objektive und Zubehör. Der besonders an naturfotografischen Themen interessierte Wahlhamburger arbeitet bereits seit 1995 beim fotoMAGAZIN und betreut weiterhin die Objektivtests und die jährliche fotoMAGAZIN-Spezialausgabe Shopping-Guide.
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