Das ist das Ende der Moment, an dem Begriffe brüchig werden und Definitionen nichts mehr gelten. Was gestern noch ganz klar erschien, ist heute eigentlich hinfällig. Das ist keine Fotografie, sagt Torsten Warmuth. Das ist etwas anderes.
Der 41-jährige Künstler zeigt ins weite Rund seiner Berliner Atelierwohnung. Aufgereiht an den Wänden sieht man Aufnahmen von nächtlichen Herumtreibern, melancholischen Diven und verschwommenen urbanen Landschaften. Die meisten dieser oft bräunlich getonten Bilder bestechen durch ausgeprägte Bewegungsunschärfen.
Aufgenommen mit einer Großbildkamera der Linhof Technar 45 sind sie für den seit 1995 als freier Fotograf arbeitenden Warmuth mehr als klassische Fotokunst. Er nennt seine auf Silbergelatinepapier aufgetragenen Arbeiten Silver Paintings. Diese Bezeichnung nutze ich seit gut einem Jahr, sagt Warmuth, dessen Werke bereits in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen waren. Silver Paintings sollen den konventionellen Fotobegriff hinter sich lassen.
Jede Arbeit von mir ist ein Unikat. Wenn Torsten Warmuth über seine Bilder spricht, dann gerät ein Glanz in seine Augen. Er verspürt eine fast kindliche Freude darin, die Prinzipien der Fotografie aus den Angeln zu heben. Seit Mitte des 19. Jahrhundert galt diese als Medium der Reproduzierbarkeit. Henry Fox Talbot und die Erfindung des Positiv-Negativ-Verfahrens hatten aus einmaligen Momenten seriell produzierbare Massenware gemacht. Mit seinen Einzelwerken will Warmuth diese Entwicklung vom Kopf auf die Füße zurückstellen.
Malerei mit Toner & Pinsel
Fotografie ist zu etwas Maschinellem geworden. Das interessiert mich so nicht mehr. Gerade die Digitalisierung hat dem Medium viel kreatives Potential geraubt. Für Warmuth scheint Digitalisierung ein Unwort zu sein. Er erarbeitet sich seine Aufnahmen analog. Mit seiner Großbildkamera hantiert er, als wäre sie das normalste Handwerkszeug der Welt. Zuweilen fotografiert er mit ihr sogar aus der Hüfte heraus. Die eigentlichen Bilder entstehen für mich nicht im Moment der Aufnahme.
Sie werden in langwierigen Prozessen in der Dunkelkammer erarbeitet. Mit Negativmontagen, Chemikalien und verschieden großen Pinseln zaubert Torsten Warmuth Bildkompositionen, die durch ungewöhnliche Tiefenwirkungen bestechen. Irgendwann, sagt er, sei ihm klar geworden, dass man solche Bilder nicht mehr in den gewohnten Editionen produzieren könne.
Also habe er angefangen, die aufwendige Dunkelkammerarbeit zum eigentlichen Kern zu machen. Nein, das ist wirklich keine konventionelle Fotografie mehr. Das ist Malerei mit Tonern und Pinseln. Das ist es, was der Begriff Silver Painting meint. Vieles ist in den letzten Jahren in Bewegung geraten nicht nur bei einem Fotokünstler wie Torsten Warmuth. Wo die digitalen Möglichkeiten der Bilderzeugung zu einer schier unermesslichen Flut an Pixeln geführt hat, hat sie andererseits auch neue Nischenexistenzen ermöglicht.
Mögen die meisten Aufnahmen heute mit digitaler Kleinbildkamera entstehen es gibt auch mehr und mehr Ausnahmen. Fotografien, die mit ausgefalleneren Techniken oder Kameratypen produziert werden mit Mittelformat, oder Spielzeugkamera. Auf Diafilm oder Polaroid. Die Urheber solcher Bilder sind nicht immer nur Verweigerer. Es befinden sich darunter Rebellen und Progressive Fotografen, deren Bildphilosophien sich in weiten Teilen über ihr Handwerkszeug bestimmen lassen.
So ist es auch bei Daniel Biskup - einem Fotojournalisten, der bis vor kurzem noch auf analogem Kleinbildfilm gearbeitet hat. Zu einer Zeit, als seine Kollegen bereits riesige Bilddaten auf Chipdaten speicherten, ließ er Filme entwickeln und Abzüge scannen. Für mich ist eine Kamera immer nur ein Gebrauchsgegenstand gewesen, sagt Biskup, der seit vielen Jahren zu den namhaftesten Fotografen der Boulevardzeitung BILD zählt.
Technik habe ihn nie interessiert. Viel wichtiger sei das richtige Sehen. Für dieses sei es egal, welche Kamera man nutze. Man beherrsche es, oder man beherrsche es nicht. Auf die Frage, warum er dann nicht früher auf Digitaltechnik umgestiegen sei, muss Biskup nicht lange überlegen: Ich finde, dass man analoge Bilder besser archivieren kann. Zudem haben sie auch eine schönere Haptik. Zunächst noch war Biskups unzeitgemäße Arbeitsphilosophie kein Problem. Nicht einmal bei einem Zeitungsriesen wie BILD. Lange hatte man dort den Spleen des heute 47-jährigen hingenommen.
Die Haptik analoger Bilder
Dann aber kam der Tag, an dem sich auch Biskup dem Fortschritt nicht mehr verweigern konnte: Es war während einer Arbeitsreise in die Vereinigten Staaten. Innerhalb einer halben Stunde, so die Order aus dem Axel-Springer-Hochhaus, sollte eine Aufnahme in der Redaktion in Deutschland sein schier unmöglich, wenn man, wie Biskup, das Bild erst entwickeln musste.
Schweren Herzens kaufte er sich seine erste Digitalkamera, eine Nikon D700. Bei dieser konnte er wenigstens seine Objektive weiter benutzen. Sicher: Auch Daniel Biskup will heute die Digitaltechnik nicht mehr missen. Und dennoch schaut er mit Wehmut auf die Vergangenheit: Wer weiß, ob es in zwanzig Jahren noch CDs oder Festplatten geben wird.
"Meine Dias und Negative aber, sie werden auch noch in hundert Jahren Bestand haben."
Private Aufnahmen fertigt er daher immer noch mit Analogkamera an.
Die unzeitgemäße Archivierung ist es, die auch den Künstler und Designer Michael Hölzl in den Bann gezogen hat. Der gebürtige Tiroler bewahrt jedoch nicht konventionelle Analogbilder auf. Hölzl archiviert Polaroids. Wenn ich mir mein digitales Bildarchiv anschaue, überfällt mich sehr schnell Langeweile. Mit den Polaroids ist das ganz anders. Meist zeigen diese Stadtlandschaften oder einfache Portraitaufnahmen.
Wann immer Hölzl zu einem Shooting fährt, wird er begleitet von einem seiner mittlerweile vier Polaroidgeräte.Nicht nur für Hölzl ist das Surren, mit dem Kameras wie die legendäre SX 70 fertige Fotos aus ihrem Inneren schieben, noch immer etwas Besonderes. In den Siebzigern und Achtzigern gehörten diese Apparate zur Grundausstattung eines jeden Bundesbürgers.
Heute sind Polaroid-Kameras zu Liebhaberobjekten geworden und Filmmaterial ist schwer zu bekommen. Zwar gibt es mittlerweile eine neue Produktion der Firma Impossible Project, für Hölzl aber sind die Impossible-Filme noch nicht mit dem Originalmaterial vergleichbar. Er greift daher in der Regel auf gut gelagerte Restposten zurück Filme, die ihn zwischen 14 und 27 Euro kosten.
Logisch, dass seine Polaroid-Bilder dadurch eine andere Wertigkeit bekommen. Aber es geht nicht nur um den Preis, sagt Hölzl, ich schätze die grobe Körnung und die ungewöhnlichen Farben. Letztlich seien Polaroids eben etwas anderes, als Aufnahmen, die man mit x-beliebigen Kleinbildkameras macht. Sie sind technisch vielleicht nicht perfekt, aber sie sind extrem extravagant.
Bessere Bildkompositionen
Extravagant ist mittlerweile auch das Arbeitswerkzeug des im oberbayrischen Mühldorf beheimateten Wissenschafts- und Reisefotografen Bernhard Edmaier. Der studierte Geologe, der durch künstlerische Luftaufnahmen von Erdoberflächen bekannt geworden ist, arbeitet vornehmlich mit einer 6x6-Mittelformatkamera von Hasselblad und zuweilen befindet sich darin sogar noch ein klassischer Rollfilm.
Mittelformat war für mich früh eine Selbstverständlichkeit, sagt der heute 53-jährige, der seit gut 18 Jahren als freischaffender Fotograf tätig ist. Bis heute erlaubt mir dieses Format, meine Abzüge auf große Formate zu ziehen. Dabei weiß Edmaier natürlich, dass man ähnliche Effekte heute auch mit den immer höher auflösenden digitalen Kleinbildkameras hinbekommen könnte.
Der größere Sucher der Mittelformatkamera aber erlaubt ihm eine viel bessere Möglichkeit zur Bildkomposition. Manchmal träumt Edmaier sogar von noch größeren Kameratypen. Diese aber hätten den Nachteil, dass sie nicht gut in der Hand lägen. Und dieser Aspekt ist für Bernhard Edmaier extrem wichtig. Die meisten seiner als Geo Art bekannt gewordenen Arbeiten entstehen aus äußerst schwierigen Situationen.
Gewöhnlich fotografiert Edmaier aus dem Inneren eines Helikopters. Unter solchen Arbeitsbedingungen muss man sein Equipment reduzieren. Da geht leider nicht alles, was man sich wünscht. Letztlich ginge auch alles ganz einfach. Keine hohe Körnung, keine große Auflösung, kein technischer Firlefanz.
Das zumindest beweist der in Mainz lebende Pressefotograf Fredrik von Erichsen. Von Erichsen arbeitet mit Kameras, die bis ins Letzte puristisch sind. Sie haben geringe Fokussierungsmöglichkeiten, besitzen oft nur eine Verschlusszeit und sind auf das Nötigste reduziert. Fredrik von Erichsen nennt sich Lomograph. Zumindest in seiner Freizeit.
Hauptberuflich ist er Agenturfotograf bei der dpa. Nach Feierabend aber hantiert er mit anachronistischen Kameratypen aus Rußland oder der Volksrepublik China. Eines seiner Lieblingsspielzeuge: Die sogenannte Holga eine chinesische Mittelformatkamera aus Plastik, die in den frühen 80er-Jahren als sozialistische Volkskamera auf den Markt geworfen wurde. Von ihr besitzt von Erichsen gleich mehrere Geräte.
Jedes Bild, das ich mit diesen Kameras mache, ist Dokument eines einzigartigen Momentes. Ein Kunstwerk, sagt der Fotojournalist, der von den Unschärfen und Fehlfarben dieser Plastikkamera fasziniert ist. Die Holga sei das glatte Gegenteil zu seiner sonstigen Arbeit. Und dennoch könne er sich mit ihr viel besser ausdrücken: Ich fühle mich frei zu tun, was immer ich möchte, sagt Fredrik von Erichsen, der damit das Credo so vieler anderer Fotografen auf den Punkt bringt von Fotografen, die mehr wollen, als die immer gleichen glatten Bilder; die extravagant sind und exzentrisch. Und die gerade deshalb unvergessliche Fotos machen.
Analoge Impressionen
1972 in Detmold geboren, studierte Philosophie und Germanistik an der Universität Bonn. Nach Hospitanzen und Tätigkeiten bei diversen deutschen Tages- und Wochenzeitungen arbeitet er seit 2000 als freier Publizist. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählen Foto- und Kunstkritik sowie Reportagen aus den Bereichen Kultur und Geistesleben.
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