Kann man Smartphones nicht einfach so bauen, dass sie auf optischem Wege eine geringe Schärfentiefe und eine satte Hintergrundunschärfe liefern? Für besonders gute Smartphone-Fotos? Nein, da macht uns leider die Physik einen Strich durch die Rechnung.
Lassen wir dazu Dr. Hubert Nasse von der Zeiss AG zu Wort kommen, einer der profiliertesten Experten auf diesem Gebiet: „Die entscheidende Größe für die Quantität von Unschärfe ist die physische Größe der Eintrittspupille. Wenn man mit Bokeh in erster Linie die Fähigkeit meint, den Hintergrund sehr unscharf, weich und detailarm darstellen zu können, muss man eine genügend große Eintrittspupille haben. Großes Aufnahmeformat, lichtstarke Objektive und längere Brennweiten haben in der Richtung das beste Potenzial.“
„Die entscheidende Größe für die Quantität von Unschärfe ist die physische Größe der Eintrittspupille.“
Man sieht sofort, dass Smartphones hier chancenlos sind. Sie sind auf Hosentaschenformat gezüchtet und sollen so flach wie eben möglich sein. Das verbietet per se große Kamerasensoren, die mit großen Bildkreisen, großen Linsendurchmessern und langen Objektiven einhergehen. Smartphones haben zwar auch relativ lichtstarke Objektive mit Blendenzahlen um die 2, aber dabei ein ultrakleines Aufnahmeformat und dadurch wiederum sehr kurze Brennweiten. Beim iPhone 8 Plus hat das kurze Objektiv eine Brennweite von 4 mm (28 mm Kleinbild-äquivalent), das etwas längere Objektiv 6,6 mm (57 mm beim Kleinbild). In der Summe vereiteln diese Einschränkungen fast völlig eine geringe Schärfentiefe.
„Smartphones haben zwar auch relativ lichtstarke Objektive mit Blendenzahlen um die 2, aber dabei ein ultrakleines Aufnahmeformat und dadurch wiederum sehr kurze Brennweiten.“
Ein Beispiel dazu (berechnet mit dem Online-Rechner dofmaster.com): Eine Vollformatkamera hat bei einer Brennweite von 50 mm, bei Blende 1,8 und einem Abstand von zwei Metern eine Schärfentiefe lediglich von 17 cm. Das Samsung S7, bei Brennweite 4,2 mm, Blende 1,7 und gleichem Abstand hat eine Schärfentiefe von 20 Metern!
Zwar ist der erlaubte Durchmesser der Zerstreuungskreise (alias Bokeh-Bubbles) der Smartphones viel kleiner als bei einer Vollformatkamera, was zu einer kleineren Schärfentiefe führt, aber auch die Brennweite ist kleiner und deren Einfluss ist größer. Da helfen nur digitale Tricks an denen die Hersteller mit Nachdruck arbeiten – erste Lösungen sind bereits verfügbar.
Simulierte Unschärfe: Nehmen Sie die Tiefenkarte zu Hilfe!
Die Simulation von ausgeprägten Schärfeverläufen funktioniert gar nicht schlecht und ist auch nicht so schwierig, wie man vielleicht zuerst meinen könnte. Bei allen modernen Ansätzen braucht es dafür eine Tiefenkarte, sprich ein Grauwertbild, in welchem die Grauwerte die Abstände zu den Punkten in der Szene darstellen.
Diese Karte oder Maske kann man selbst händisch ins Bild malen oder auch automatisch erzeugen. Wenn eine solche Tiefenkarte zur Szene verfügbar ist, dann ist die Simulation der Unschärfe nicht mehr allzu schwer. Für eigene Versuche eignet sich der leistungsfähige Photoshop-Filter Objektivunschärfe (ehemals: Tiefenschärfe abmildern), dem man das Tiefenbild als Maske oder im Alphakanal mitgeben kann.
Wie erzeuge ich eine Tiefenkarte mit dem Smartphone?
Zur automatischen Erzeugung der Tiefenkarte durch ein Smartphone taugen grundsätzlich alle optischen, kamerabasierten Verfahren. So kämen prinzipiell auch Verfahren mit strukturiertem Licht wie das Laserscanning oder die Gray-Code-Musterprojektion in Frage, wären aber aufwendig zu realisieren.
Ein anderes, mögliches Verfahren heißt Depth-from-Defocus und basiert auf mehreren Aufnahmen mit wanderndem Fokus – tatsächlich hat Apple auch ein ähnliches Patent angemeldet. Wer hiermit experimentieren möchte, findet in der Software Helicon Focus ein Werkzeug dafür. Dieses Programm kann aus einem Focus Stack nicht nur eine durchgehend scharfe Aufnahme errechnen, sondern auch eine Tiefenkarte. Auch für das Beispiel (unten) mit der goldenen Uhr haben wir die Tiefenkarte mit Helicon Focus erstellt.
Bokeh-Effekt mit dem Smartphone: Tiefenkarte
Apple hat aber auch noch ein anderes Patent angemeldet, das auf dem Stereoansatz basiert. Zwei Kameras nebeneinander, in gewissem, bekanntem Abstand, sehen Räume leicht unterschiedlich. Wenn man in den zwei Bildern die Bildpunkte (die Projektionen der Raumpunkte) zuordnen kann, lässt sich durch Triangulation auf den Abstand zu den Punkten schließen. Auch so entsteht eine Tiefenkarte. Ein geeignetes Zuordnungsverfahren ist die Korrelation. Man verwendet hierbei zu einem fraglichen Punkt im Bild auch das nahe Umfeld, zum Beispiel ein Fenster der Größe 5 x 5 Pixel und sucht dann auf der Basis eines Ähnlichkeitsmaßes dieses Fensterchen im anderen Bild.
Wohlgemerkt kann man diesen Stereoansatz auch bei unterschiedlichen Brennweiten nutzen. Die Berechnung wird dann nur etwas aufwendiger. Naturgemäß scheitern diese Verfahren leider bei weißen Wänden und bei sich wiederholenden Mustern und machen auch an Kanten im Raum keine gute Figur. Wir können nicht mit völliger Sicherheit sagen, welches Verfahren im iPhone 7/8 Plus und in anderen zweilinsigen Kameras zum Einsatz kommt, tippen aber nach einigen Versuchen mit repetitiven Mustern (Karopapier) und auch anhand der Haloeffekte an den Kanten auf eben jene Stereokorrelation.
So gelingt der Bokeh-Effekt mit dem Smartphone am besten!
Bei den ersten Versuchen mit einem iPhone 8 Plus ist uns direkt aufgefallen, dass die Ergebnisse am besten werden, wenn ein klar abgegrenztes Vordergrundobjekt existiert und wenn der Abstand zum Hintergrund groß ist – wenn die 3D-Szene also einfach aufgebaut ist. Weiterhin haben wir festgestellt, dass das Verfahren an homogenen Flächen, an Objektkanten und bei Sprüngen in der Tiefe zumindest Schwierigkeiten hat. Dennoch macht die Verwendung des Portrait-Modus Spaß und liefert mit ein bisschen Glück auch überzeugende Ergebnisse.
Nachbearbeitung in Photoshop: ein Muss!
Bereits die ersten Ergebnisse, direkt aus der Kamera, bei uns mit einem iPhone 8 Plus aufgenommen, wirken erstaunlich realistisch. Bei kritischer Betrachtung entlarvt man sie dann aber teilweise anhand der weichen Kanten, der Halos sowie der fehlenden Bildanteile doch als Simulation. Die Lösung liegt auf der Hand. Man verwendet das durchgehend scharfe Ausgangsbild, stellt den fraglichen Vordergrundbereich frei und legt ihn über das Bild mit dem Schärfeverlauf. In den Bildern oben sehen Sie das Ausgangsbild, die Verarbeitung und das Ergebnis.
Merke: Den aufwendigen Part der Freistellung muss man hierbei nicht selbst erledigen, denn das können preiswerte Freistelldienstleister besser. Aber auch wenn man einen Dienstleister hinzuzieht, ist die Nachbearbeitung doch so aufwendig, dass sie nur für wertvolle Bilder in Betracht kommt. Doch wer weiß, vielleicht kombinieren Apple und Co. demnächst die verfügbaren Verfahren mit einer automatischen Freistellung ähnlich Photoshops Schnellauswahlwerkzeug? Das ist Zukunftsmusik, aber auch die Ergebnisse, die moderne Handys aktuell liefern, wären noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.
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