Text: Damian Zimmermann
Egal ob Profi oder Amateur: Das beliebteste Motiv von Fotografen ist der Mensch – und womöglich auch das am schwersten zu fotografierende. Während Anfänger meist enge Freunde und Familienangehörige porträtieren, weil der vertraute Umgang miteinander hilft, finden einige Profis gerade diese Nähe besonders schwierig.
Und während einige Fotografen gerne mit Schauspielern zusammenarbeiten, weil diese so wandelbar sind, meiden andere diese Berufsgruppe, da sie das Gefühl haben, eine Rolle vorgespielt zu bekommen. Wie so oft kommt es auch beim Porträt darauf an, was man selbst festhalten möchte.
Wir stellen Ihnen acht Fotografen vor, die in den vergangenen 100 Jahren die Porträtfotografie entscheidend geprägt haben – und aus deren Fotobüchern wir bis heute vieles für unsere eigenen Arbeiten lernen können.
Acht Fotografen und acht Tipps für Ihr nächstes Shooting und Fotobuch:
Pieter Hugos Porträtfotografie in La Cucaracha
Für mitunter drastische Fotos ist Pieter Hugo (Jahrgang 1976) bekannt. Seinen Durchbruch hatte der Südafrikaner 2007 mit „The Hyena and Other Men“, eher klassisch fotografierte Ganzkörperportraits einer Gruppe zwielichtiger Männer, die mit Hyänen, Affen und Tigerpythons durch Nigeria ziehen, um als Schausteller und Medizinverkäufer Geld zu verdienen.
In seinem jüngsten Werk „La Cucaracha“ erkennt man zwar deutlich seine Entwicklung, aber auch seine Wurzeln. Hugo interessiert sich für das Abseitige, das Düstere, das Morbide – und in der mexikanischen Kultur scheint er eine fast unerschöpfliche Inspirationsquelle gefunden zu haben: Selten waren seine Bilder so vielschichtig und mit so vielen Zitaten und Anspielungen auf Fotografie, Kunst und Literatur gespickt wie in diesem Werk.
Tipp: Lesen Sie Literatur zur Kunst- und Fotografiegeschichte. Vermeiden Sie in der Porträtfotografie Klischees. Zitieren Sie bei der Aufnahme ruhig auch mal Bilder anderer großer Fotografen und nehmen Sie dabei eigene Variationen vor.
Rineke Dijkstra: Portraits
Zu den großen Porträtfotografen unserer Zeit zählt die Niederländerin Rineke Dijkstra (Jahrgang 1959). Ihre Aufnahmen von Teenagern an den Stränden Polens, Belgiens, Englands, der Ukraine und den USA haben heute Ikonen-Status.
Auf den ersten Blick wirken sie schlicht: Wir sehen Jugendliche in Badekleidung, das Meer und den Horizont. Das Meer wirkt wie eine nicht verortbare Leinwand: Wir können nicht erkennen, ob die Teenager in De Panne oder auf Long Island sind. Durch die Badekleidung werden zudem länderspezifische Dresscodes und Moden minimiert, sodass die Bilder nicht nur ort-, sondern auch zeitloser wirken.
Und zuletzt müssen sich die Abgebildeten, die ohnehin in einer von Zweifeln und Veränderungen geprägten Lebensphase stecken, für das Foto positionieren und im wahrsten Sinne „Stellung beziehen“. Wir sehen ihre Unsicherheit und Verlegenheit, aber auch Stolz und ein Sich-zur-Schau-Stellen.
Tipp: Jugendliche sind spannende Portrait-Motive, weil sie sich in einer Phase des Umbruchs befinden. Lassen Sie diese vor Ihrer Kamera agieren und geben Sie ihnen nicht zu viele Vorgaben. Nehmen Sie eine etwas tiefere Kameraposition ein, um sie größer und erwachsener erscheinen zu lassen.
Nicholas Nixon: The Brown Sisters
Nicholas Nixons Portraitreihe „The Brown Sisters“ ist noch nicht abgeschlossen. Seit 1975 porträtiert er einmal im Jahr die Brown-Schwestern – damals waren sie zwischen 15 und 25 Jahre alt – mit einer Großformatkamera. Immer unter freiem Himmel und immer in der gleichen Aufstellung stehend.
Das erleichtert uns das vergleichende Sehen, wobei sich das bei Weitem nicht nur auf Äußerlichkeiten wie das Älterwerden beschränkt. Wir sehen subtile und manchmal auch sehr offensichtliche Unterschiede in den Körperhaltungen und den Beziehungen der Schwestern untereinander, sowie körperliche Ähnlichkeiten, die erst im Laufe der Jahre sichtbar werden.
Und letztlich sehen wir auch das Verhältnis der Frauen zum Fotografen. Vor allem aber geht Nixon mit seinem Projekt einem, wenn nicht sogar DEM Hauptthema der Fotografie überhaupt nach: Dem Arbeiten gegen die Vergänglichkeit – und das Vergessen.
"The Brown Sisters"
Tipp: Fotografieren Sie einen Freund oder ein Familienmitglied in festgelegten Zeitabständen immer wieder. Wiederkehrende Familienfeste eignen sich gut, um ein Ritual zu etablieren.
Sorgen Sie bei der Aufnahme für eine gleichbleibende Konstante – entweder, indem Sie immer den gleichen Ort, den gleichen Raum oder bei mehreren Personen die gleiche Aufstellung der Personen wählen. Lassen Sie diesen Personen innerhalb des gewählten Rahmens möglichst viel Spielraum, wie sie sich präsentieren.
August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts
August Sander (1876-1964) ist in der Chronologie unserer Meisterfotografen zwar nur der zweitälteste Fotograf, aber er gilt als der wohl einflussreichste Porträtfotograf des vergangenen Jahrhunderts schlechthin. Sein Hauptwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ wurde zwar erst nach seinem Tod veröffentlicht – daran gearbeitet hat er allerdings den Großteil seines Lebens.
Er fotografierte Menschen aus allen Schichten und Berufsgruppen, vom einfachen Bauern und Arbeiter bis zum Anwalt und Großherzog, Soldaten und Invaliden, Kommunisten wie Nazis. Alle behandelte er mit dem gleichen unvoreingenommenen Interesse und schuf damit ein unverwechselbares Gesellschaftsporträt seiner Zeit.
Das ist deshalb besonders erwähnenswert, weil Sander weit über den Fotografen-Dunstkreis hinaus für Aufmerksamkeit sorgte, indem er Typen, Klassen und Stände fotografierte.
Tipp: Versuchen Sie doch mal in Porträtfotografie-Projekten Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen, beruflichen und gesellschaftlichen Hintergründen abzulichten.
Helmar Lerski: Verwandlungen durch Licht
Helmar Lerski (1871-1956) wirkte zur gleichen Zeit wie Sander. Damals beschäftigte sich niemand so intensiv mit dem menschlichen Gesicht und seinen Darstellungsmöglichkeiten wie er. Seine Schwarzweiß-Close-ups von Arbeitern, Soldaten und Schauspielern sind geprägt von extremen Perspektiven und einem dramatischen und experimentierfreudigen Umgang mit Licht und Schatten.
Sein Schaffen gipfelte in der Serie „Verwandlungen durch Licht“, für die er im Winter 1935/36 sein Model Leo Uschatz in mindestens 140 Fotografien festhielt. Lerski nutzte Uschatz’ Gesicht als eine Art Leinwand für seine ganz eigenen Inszenierungen.
Damit visualisierte er seine Vorstellung von den Möglichkeiten, die in einem Gesicht enthalten sind und steht konträr zu der sich bis heute hartnäckig haltenden Vorstellung, ein Fotograf könne in nur einem einzigen Portrait den Charakter (oder gar die Seele!) eines Menschen einfangen.
Tipp: Beschäftigen Sie sich intensiv mit einer Person und experimentieren Sie. Testen Sie unterschiedliche Lichteinstellungen, Brennweiten und Perspektiven, gehen Sie mal nah ans Gesicht heran und dann wieder auf Abstand. Probieren Sie auch die verschiedenen Wirkungen in der Nachbearbeitung ihrer Porträtfotografien aus. Denn nicht das Model macht die Wirkung des Bilder aus, sondern der Fotograf!
Irving Penn: Centennial
Irving Penns (1917-2009) Studioaufnahmen von Stars und ganz normalen Menschen sind legendär. Wie Avedon hat er oft vor neutralen Hintergründen fotografiert. Seine Fotografien wirken jedoch weicher und „komponierter“, die Ästhetik seiner Porträts beruht oft auf wenigen Akzenten, die sich gegen große, dunkle Flächen und diagonale Linien behaupten.
Penns Bilder sind dynamisch und statisch zugleich, der meist graue Hintergrund wird kaum wahrgenommen – im Gegensatz zum dominanten Weiß bei Avedon. Die Porträts sind designt, ohne überfrachtet zu wirken.
Legendär sind Portraits, die Penn in einer spitz zulaufenden Ecke fotografiert hat. In dieser Umgebung wurden die Menschen beengt und mussten darauf reagieren. Zudem erreichte der Fotograf mit diesem Aufbau eine neue kompositorische Basis.
Tipp: Schaffen Sie eine ruhige Arbeitsatmosphäre, in der die Portätierten entspannen können und nicht abgelenkt werden. Kontrollieren Sie Ihre Bildkomposition, achten Sie auf Formen und vermeiden Sie störende und zu viele Bildakzente.
Lassen Sie Ihre Models ungewöhnliche Körperhaltungen einnehmen, die zu spannenden Silhouetten führen. Weniger ist meist mehr. Und es muss nicht immer ein monotoner Hintergrund sein: Bringen Sie Menschen in Räume, die Emotionen hervorbringen.
Richard Avedon: Portraits of Power
Zu den ganz großen Porträtfotografen gehört zweifelsohne Richard Avedon (1923-2004). Bekannt wurde er vor allem für seine Porträts vor einem komplett weißen Hintergrund. Diese Bilder entstanden meist in seinem Studio, doch für sein Projekt „In the American West“ baute er eine Leinwand während seiner Reisen durch die USA überall auf, wo er sie benötigte.
Weil es dabei keine Umgebung gibt, auf die sich Model und Fotograf beziehen können, bleibt der Gestaltungsspielraum eingeschränkt und unser Blick fokussiert sich komplett auf den Menschen, sein Gesicht, seine Körperhaltung, seine Kleidung. In „Portraits of Power“ versammelt Avedon Porträts von Politikern, Menschenrecht-Aktivisten, Künstlern, Intellektuellen, aber auch von einfachen Leuten, die letztlich die Folgen der sozialen Umbrüche zu tragen haben.
Tipp: Provozieren Sie subtil Emotionen beim Porträtieren, stellen Sie beispielsweise Fragen und fotografieren die Reaktionen darauf. Durchdringen Sie so bei Menschen, die viel im Mittelpunkt stehen, die Masken der Professionalität.
Meisterin der Porträtfotografie: Diane Arbus
Als absolute Klassikerin zählt auch die amerikanische Fotografin Diane Arbus (1923-1971). Als sie sich mit 48 Jahren das Leben nahm, war sie vor allem Fotografenkollegen ein Begriff, doch bereits ein Jahr nach ihrem Tod startete ihr posthumer Durchbruch. Ihre Fotografien zeigen die amerikanische Gesellschaft jenseits der geschönten Fassade.
Arbus-Porträts sind sensibel und einfühlsam, aber eben auch oft schonungslos und grenzüberschreitend. Sie fotografierte „Freaks“, wie sie selbst sagte, wobei dies Menschen mit Behinderungen, Nudisten, Zwillinge, Transvestiten und ganzkörpertätowierte Schausteller, aber auch (scheinbar) ganz normale Durchschnittsbürger sein konnten.
Die Bandbreite und das selbstverständliche Nebeneinander erzeugen das Gefühl einer Gesellschaft, in der nicht immer klar ist, wer eigentlich „normal“ ist.
Tipp: Seien Sie sensibel für skurrile Momente, die im Alltag oft untergehen. Suchen Sie inhaltliche und motivische Kontraste wie es Arbus getan hat. Bleiben Sie offen für Persönlichkeiten, die Verletzlichkeit, Spannnung und Tiefe in ein Bild bringen.
Beitrage Teilen