Die Interpretationen, was ein gutes Portrait ausmacht, gingen im Laufe der Zeit weit auseinander. Von lasziv bis emanzipiert, von zärtlich bis stark – beispielsweise bei Helmut Newton. Als die digitale Retusche Einzug hielt, nutzten manche fortschrittliche Fotografen dieses Werkzeug exzessiv und kreierten überperfekte, surreale Gesichter, besonders gerne bei Beauty-Aufnahmen und für Fernsehzeitschriftentitel. Bis heute finden sich Make-up-Anzeigen, bei denen die Hautstruktur unter dem Auge dieselbe ist wie an der Lippe.
Erfreulicherweise hat sich der Trend in den letzten Jahren jedoch umgekehrt: Natürlichkeit ist angesagt. Statt bei der Bildwirkung auf Photoshop zu vertrauen, geht es endlich wieder um Ausdruck, den richtigen Moment, Authentizität. Vermeintliche Unperfektion wie Pickelchen, Haare, die durch das Gesicht wehen oder auch technische Fehler wie Verwacklungen oder Unschärfen werden nicht nur akzeptiert, sondern in vielen Fällen sogar forciert.
Unterm Strich steckt hinter einem ausdrucksstarken, natürlichen Portrait meist ebenso viel Arbeit wie hinter einer perfekt inszenierten Aufnahme. Dennoch lohnt sich der Aufwand. Für den Fotografen ebenso wie für das Model und den Betrachter.
Verwenden Sie Make-up für das Model
Die Entscheidung für ein natürliches Portrait fällt bereits lange vor der ersten Aufnahme. Zunächst benötigen Sie ein passendes Model, mit charakterstarkem Gesicht, gerne auch in Verbindung mit Sommersprossen. Um diese im Bild genügend zur Geltung zu bringen, ist dezentes Make-up gefragt. Statt starker Farben gibt es zurückhaltendes Abpudern und selektive Glanzstellen, allenfalls unterstützt durch etwas dunklere Augen. Für mehr Informationen lesen Sie unseren Artikel "Das richtige Make-up für Portraits". Dort haben wir uns ausführlich dem Thema gewidmet.
Lichtsetzung beim Portrait-Shooting
Eine natürliche Lichtsetzung wirkt vor allem durch ihre Schatten. Im Gegensatz zu perfekt ausgeleuchteten Bildern mit Reflektoren und Blitzen sind dunkle Bildbereiche explizit erwünscht. Doch nicht nur der Schatten an sich, auch seine Kontur ist entscheidend. Obwohl die Sonne sehr harte Schatten erzeugt, sind es die weichen Übergänge, die wir als besonders harmonisch und natürlich wahrnehmen. Fotografieren Sie im Studio deshalb mit einem größeren Lichtformer, beispielsweise einem Beauty Dish oder einer Softbox. Octaboxen und große Schirme mit 1,80 m Durchmesser sollten Sie allerdings vermeiden – sie erzeugen kaum noch Schatten, wodurch die Natürlichkeit ebenfalls verlorengeht. Platzieren Sie den Blitz zudem etwas seitlich für einen natürlichen Schattenverlauf. Tipp: Machen Sie auch einige Aufnahmen nur mit Einstelllicht. Das Dauerlicht wirkt oft etwas weicher. Passen Sie den Weißabgleich, Verschlusszeit und ISO-Wert entsprechend an.
Wirklich natürlich wirken Portraits vor allem aber dann, wenn Sie das Model aus dem klinisch weißen Studio herausholen und on Location fotografieren. Das gilt für Innenräume ebenso wie für Außenaufnahmen. Im Gebäude bietet sich häufig eine Mischung aus Umgebungslicht und Dauerlicht an. Achten Sie unbedingt auf die Lichtfarbe: Dominiert an der Location Kunstlicht, beispielsweise von Wandlampen, benötigen Sie ein gelbliches Dauerlicht; kommt das Hauptlicht hingegen durchs Fenster, verwenden Sie zum dezenten Aufhellen am besten einen Silberreflektor.
Im Freien sollten Sie vor allem hartes Sonnenlicht vermeiden. Charmant wirken dezente Lichtpunkte, wenn das Model beispielsweise unter einem Laubbaum steht, ansonsten bieten sich auch reine Schattenbereiche an. Besonders stimmungsvoll wirken auch gegenlichtige Aufnahmen im Abendlicht. Hellen Sie mit einem Reflektor allenfalls dezent auf, um die Natürlichkeit nicht zu zerstören. Bei bewölktem Himmel erübrigt sich die Lichtsetzung und Sie können sich voll auf den Ausdruck des Models konzentrieren.
Welche Pose wirkt besonders natürlich? Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Statt einer bestimmten Haltung oder eines besonderen Blicks ist es eher der innere Zustand, der die Bildwirkung ausmacht. Eine Tatsache, die sich beispielsweise Peter Lindbergh zu Nutze gemacht hat, der für seine Models oft mehr Gesprächspartner als Fotograf war. Stellen Sie Vertrauen her, helfen Sie Ihrem Model, sich zu entspannen und halten Sie sich mit konkreten Vorgaben etwas zurück. Geben Sie vielmehr grobe Richtlinien vor (eher freundlich, eher nachdenklich, generell mit dem Kinn immer etwas nach unten) und konzentrieren Sie sich auf den richtigen Moment. Achten Sie auch auf die Körperhaltung des Models und fotografieren Sie stets einen etwas größeren Bildausschnitt als benötigt. Dadurch können Sie die Aufnahme später ins mittelformat-typische 4:3-Format zuschneiden, was das Bild noch natürlicher und eindrucksvoller wirken lässt.
Bildbearbeitung nach dem Shooting
Mit der Natürlichkeit während der Aufnahme geht auch eine Reduktion der Retusche einher. Dennoch ist es wichtig, Ihre Bilder am PC noch etwas zu verfeinern.
Zunächst sollten Sie Ihre Fotos im Raw-Konverter optimieren. Testen Sie verschiedene Bildstile. Passt eher ein kontrastreicher, warmer Look? Eher ein kalter, weich-bläulicher? Oder doch Schwarzweiß? Zuschneiden sollten Sie das Bild immer erst ganz zum Ende, auch das Umwandeln in Monochrom macht erst zum Schluss Sinn – andernfalls müssen Sie das Bild nochmals bearbeiten, wenn Sie es irgendwann doch in Farbe einsetzen möchten.
Stimmen Farbgebung und Kontraste, geht es in Photoshop noch um letzte Details. Die betreffen vor allem mögliche Augenringe. Auch in Zeiten natürlicher Portraits möchte niemand übermüdet wirkende Gesichter sehen. Außerdem können Sie Konturen in Gesicht und Haaren mit dem Verflüssigen-Filter noch etwas anpassen, um die Bildwirkung zu verstärken. Für mehr Kontrast im Gesicht bieten sich außerdem das Abwedler-Werkzeug (Bereich: Lichter) und das Nachbelichter-Werkzeug (Bereich: Tiefen) an.
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