Perspektive und Bildwinkel gehören zu den grundlegenden Gestaltungselementen eines Fotos. Die Perspektive beschreibt dabei den Blick der Kamera auf die Szene. Eine Änderung der Perspektive kann der Fotograf – sofern er nicht die Szene selbst verändert – nur durch die Veränderung des Kamerastandorts erreichen.
Der Bildwinkel dagegen wird durch die Sensorgröße und die Brennweite bestimmt. Im einfachsten Fall also kann man den Bildwinkel durch Drehen am Zoomring des Objektivs beeinflussen. Beide Parameter gemeinsam bestimmen die Linien und die Fluchtpunkte in einem Foto und sind damit maßgeblich für die Bildwirkung verantwortlich.
Mehr noch: Eine bestimmte Perspektive verlangt eine passende Brennweite und umgekehrt. Aber auch wenn beide Parameter eng zusammenhängen: sie können in der Bildwirkung nicht ausgetauscht werden. Es hilft also nicht, stärker heranzuzoomen, wenn man sich einem Motiv nicht weiter annähern kann. Zwar lässt sich durch den Zoomeinsatz der Abbildungsmaßstab angleichen und das Motiv so groß ablichten, als wäre der Fotograf nah dran gewesen. Die Bildwirkung aber ist völlig unterschiedlich zu der eines Fotos mit einem nahen Kamerastandpunkt und mit kürzerer Brennweite.
Kleine Kamera – große Kamera
Die Perspektive der Kamera ist deshalb so wichtig, weil sie den Blick des Betrachters vorwegnimmt. Bekannt aus dem Kunstunterricht sind Normal-, Frosch- und Vogelperspektive, die alle die Höhe der Kamera relativ zum Motiv thematisieren. Und was bei Zeichnungen gilt, gilt auch in der Fotografie: Die Froschperspektive macht den Betrachter klein und die Motive groß, die Vogelperspektive schafft einen Überblick, sie kann aber auch den Betrachter über das Motiv erheben.
Die Normalperspektive dagegen ist die Fotografie aus Augenhöhe des Menschen. Prinzipiell wird hier erst einmal ein neutral beobachtender Standort eingenommen. Letztlich ist die Fotografie aus der Augenhöhe ästhetisch gesehen mit den größten Herausforderungen verbunden, da die Perspektive in diesem Fall nichts zur Bildwirkung beiträgt.
Nah herangehen ist fast immer besser als die Verlängerung der Brennweite – sofern das Motiv nicht ungewollt verzerrt wird
Der Robert Capa zugeschriebene Satz „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran“ wird gern zitiert und enthält auch viel Wahres. Die Nähe der Kamera zum Motiv (vor allem bei Portrait und Reportage) ist für den Betrachter spür- und erlebbar. Von daher sollte man sich im Zweifel eher für die Nähe entscheiden.
Da aber bei gleichem Abbildungsmaßstab die Brennweite mit zunehmender Nähe verkürzt werden muss, treten auch die Effekte des großen Bildwinkels immer stärker zutage: Nahe Motivteile werden stärker vergrößert als weit entfernt liegende. Das sorgt vor allem bei Portaits für eine natürliche Grenze, da sonst die Nase riesengroß und die Ohren sehr klein abgebildet werden.
Oft aber ist das Motiv selbst einfach weit entfernt und muss optisch nah herangeholt werden. Dann kann nur noch ein enger Bildwinkel, sprich eine lange Telebrennweite helfen. Bei Tieraufnahmen spielt angesichts des spektakulären Motivs zum Bespiel eines Seeadlers die Perspektive keine Rolle mehr – auch wenn eine Aufnahme mit 50 mm vielleicht noch einen Tick spannender wäre. Bei Landschaftsfotos jedoch sollte der Fotograf sich etwas entfallen lassen, um die Landschaft nicht, trotz der Berge, allzu „flach“ (nämlich in Bezug auf die Bildtiefe) wirken zu lassen. Beliebt ist die Staffelung von Motivanteilen über Farben oder Kontraste.
Mehr Pepp
Die Umsetzung ungewöhnlicher Perspektiven ist immer noch das beste Mittel, um bekannte Motive aufs Neue interessant erscheinen zu lassen. Jeder kennt die Regel, dass Kinder und Tiere aus Augenhöhe heraus fotografiert werden sollen. Das ist auch fast immer richtig – aber manchmal kann es besser sein, Kinder bewusst von oben zu fotografieren, um ihre noch fehlende Körpergröße zu visualisieren.
Andererseits kann es sogar interessant sein, kleine Tiere nicht nur aus ihrer eigenen Perspektive, sondern aus der ihrer potenziellen Mahlzeit heraus abzulichten – zum Beispiel Frösche aus einer Froschperspektive.
Vor Ort sollte sich der Fotograf die Zeit nehmen, um den besten Standort und den optimalen Blick für die Kamera zu suchen. Dafür muss er sich vielleicht mal in den Schlamm werfen, auf eine Mauer klettern oder an eine Wand drücken. Belohnt wird er mit Fotos abseits des Normalen. Denn manchmal liegt das außergewöhnliche Foto sehr nahe.
Man muss nur darauf kommen.
Galerie zum Artikel Perspektive und Blickwinkel
Dieser Artikel ist erschienen in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN 7/2014
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