Wer fotografiert, sollte sich zumindest mit den Grundlagen der Bildgestaltung auskennen. Denn genau genommen ist das Anfertigen einer Aufnahme bereits der allererste Schritt: Wir sehen und arrangieren unsere Bilder noch bevor wir auf den Auslöser drücken. Die Frage ist, ob dieser Vorgang bewusst oder unbewusst abläuft.
Betrachtet man ein Bild abstrakt, so stellt man schnell fest, dass jedes Motiv bestimmte Gestaltungselemente beinhaltet: Wir finden Linien und Flächen, verschiedene Perspektiven, Symmetrien, diverse Bildformate, Kontraste und eventuell ist es uns ja gelungen – sofern wir uns bisher gar nicht damit auskannten – unserer Aufnahme einen Goldenen Schnitt zu verpassen.
All diese Dinge wirken sich auf die Stimmung und Bildwirkung unserer Bilder aus. Beherrscht ein Fotograf diese Dinge, so kann er sein Bild aktiv gestalten und ganz bewusst mit den Regeln brechen. Gelingt es dem Fotografen, das Gesehene so festzuhalten, dass ein wirkungsvolles Bild entsteht? Wir sorgen mit sieben ultimativen Tipps für den nötigen Durchblick in Sachen Bildgestaltung.
1. Eine Frage des Formats
Querformat vs. Hochformat vs. Quadrat – oder doch lieber 16:9? Das Format eines Bildes nimmt einen unmittelbaren Einfluss auf den gesamten Bildlook und ist ein elementarer Bestandteil der Komposition. Dem Fotografen stehen verschiedene Bildformate zur Verfügung.
Neben den bereits genannten Varianten sind, je nach Kamera und Sensor, die Seitenverhältnisse von 4:3 oder 3:2 vorgegeben. Für welches Format sich der Fotograf entscheidet, hat oft mit den persönlichen Vorlieben zu tun, manch ein Fotograf hält sich diese Entscheidung auch ganz bewusst offen und wählt Format sowie Bildausschnitt erst im Nachhinein.
Zu guter Letzt kommt es eben auch darauf an, was abgebildet werden soll: Weitläufige Landschaften und horizontale Linien kommen beispielsweise im Quer- und Panoramaformat besonders schön, außerdem entspricht das Querformat unserem Gesichts- und Blickfeld und wirkt für uns dadurch natürlicher.
Das Panorama verlängert unser Sichtfeld und wirkt deswegen besonders fesselnd. Vertikale Linien können ihre volle Wirkung eher auf dem Hochformat entfalten. Und spätestens seit Instagram erfreut sich das quadratische 1:1-Format größter Popularität.
2. Nehmen Sie verschiedene Perspektiven ein
Welche Stimmung soll Ihr Bild vermitteln? Ob zurückhaltend, dominant, aktiv oder passiv – Sie können die Bildwirkung mit Hilfe der Perspektive aktiv selbst gestalten. Folgende Blickwinkel sollten Sie kennen:
- In der Zentralperspektive fotografiert der Fotograf auf Augenhöhe und gibt eine normale, nicht verzerrte Wiedergabe eines Motivs wieder.
- Die Zweipunktperspektive findet oft in der Architekturfotografie Anwendung. Hier ist das Motiv schräg zum Fotografen positioniert (beispielsweise die Kante eines Gebäudes) und läuft horizontal auf zwei Fluchtpunkte zu.
- Mit Hilfe der Vogelperspektive verschaffen Sie sich einen Überblick über eine Situation bzw. über Ihr Motiv. Die Kamera befindet sich oberhalb des Motivs.
- Die Froschperspektive lässt Ihr Motiv groß und mächtig erscheinen. Fotografiert wird von unten nach oben.
3. Wählen Sie den Bildausschnitt mit Bedacht
Mit dem Bildausschnitt rückt der Fotograf sein Hauptmotiv in den Fokus und gestaltet weitere Bildelemente drumherum. Oft wirken Bilder interessanter – dies gilt nicht unbedingt für Landschaftsaufnahmen – wenn der Fotograf …
- sich einfach mal auf sein Motiv zubewegt, um störende Elemente auszublenden.
- sein Hauptmotiv mal nicht in der Mitte platziert, um das Bild mit Raum zu füllen.
- sein Motiv bewusst und radikal anschneidet, um wesentliche Aspekte hervorzuheben.
- Rahmen sucht. Beispielsweise ein Torbogen, Äste oder auch Arme und Hände können einen Rahmen bilden.
- mit Symmetrien arbeitet. Ob sich spiegelnde Gebäude in einem See, ein mittig fotografierter Tunnel oder andere sich wiederholende Strukturen. Symmetrien machen Bilder interessant, deswegen sollten wir unbedingt mit ihnen arbeiten.
4. Achten Sie auf Linien und Flächen
Es gibt kein Bild, das keine Linien oder Flächen besitzt: Beide entstehen automatisch, sobald wir ein zweidimensionales Bild einer dreidimensionalen Szene anfertigen. Beide Elemente führen den Betrachter durch das Bild und gehören untrennbar zusammen.
Denn dort, wo eine Fläche endet, entsteht automatisch eine Linie und umgekehrt. Da die Leserichtung von links nach rechts so tief in uns verankert ist, lenken Linien auch auf Fotografien die Leserichtung. Wer sich dessen bewusst wird, hält einen wichtigen Schlüssel für die Komposition eines Bildes in Händen.
Und Linien können in der Bildgestaltung noch viel mehr:
- Sie vermitteln uns je nach Verlaufsrichtung (von links nach rechts bzw. unten nach oben) positive oder (von rechts nach links bzw. oben nach unten) negative Gefühle.
- Unter Anwendung von Fluchtlinien verleihen sie einem Bild Tiefe.
- Vertikale Linien wirken oft, als würden sie ein Bild teilen.
- Auch horizontale Linien teilen ein Bild, allerdings wirkt dies auf uns nicht irritierend: Der Sonnenuntergang ist hierfür ein prima Beispiel.
- Sie können die Dynamik eines Bildes endschleunigen, indem man mit gekrümmten Linien arbeitet.
Flächen wie Kreise, Herzen, Rechtecke, Dreiecke, Rauten, etc. können sehr dominant auf uns wirken. Sie bündeln unsere Aufmerksamkeit, weil wir von klein auf Lernen, dass Symbole – beispielsweise im Straßenverkehr – eine Bedeutung haben.
5. Die Farbtypenlehre nach Johannes Itten
Von kunterbunt bis zweifarbig gibt es viele Möglichkeiten, ein Bild mit der Hilfe von Farben und Kontrasten zu gestalten. Es ist also empfehlenswert, sich mit der Farbtypenlehre nach Johannes Itten zu beschäftigen. Folgende Kontrastarten sollten zum Repertoire eines jeden Fotografen gehören:
- Farbe-an-sich-Kontrast
- Kalt-warm-Kontrast
- Komplementärkontrast
- Hell-dunkel-Kontrast
- Qualitätskontrast
- Quantitätskontrast
- Simultankontrast
Die zwei letztgenannten Kontrastarten sind eher in der Malerei wichtig, sie zu kennen schadet jedoch nicht. Der Farbkreis nach Itten macht auf einen Blick deutlich, welche Komplementärfarben besonders miteinander harmonieren. Neben der Farbtypenlehre gibt es noch weitere Kontraste, mit denen Sie Ihre Bilder in Szene setzen können. Gemeint sind inhaltliche Paarungen. Einige Beispiele dafür sind die Darstellung zwischen nah und fern, dick und dünn, groß und klein oder alt und jung.
6. Die Mutter aller Regeln: Der Goldener Schnitt
Harmonische Asymmetrien gehören seit Jahrtausenden zu den wichtigsten Kompositionsregeln: Schon in der Antike arbeitete man mit dem Goldenen Schnitt. Er begegnet uns darüber immer wieder in der Natur, in der Architektur und in vielen weiteren Bereichen des täglichen Lebens.
A. Was ist der Goldene Schnitt?
Der Goldene Schnitt hilft uns, Harmonie in gewollte Asymmetrie zu bringen. Wenn wir beispielsweise unser Hauptmotiv nicht mittig platzieren wollen, sollten wir zumindest dafür sorgen, dass es sich dennoch harmonisch zum Rest des Bildes anordnet. Das Seitenverhältnis liegt seit jeher bei 1:1,618. Es gewährleistet, dass sich der kleinere Bildteil zum größeren Bildteil verhält, wie der größere Bildteil zum Gesamtbild.
Diese Aufteilung empfinden wir völlig unbewusst aufgrund der sich wiederholenden Proportionen als harmonisch. Insgesamt gibt es vier Varianten, ein Bild mittels Goldenen Schnitts aufzuteilen: Man kann die Teilung zum Goldenen Schnitt einmal links, einmal rechts, einmal oben und einmal unten setzen. Wer das Prinzip einmal verstanden hat, kann sein Bild aktiv gestalten und wichtige Bildelemente ganz bewusst platzieren, um die Bildwirkung zu erhöhen.
B. Was ist die Drittel-Regel?
Die Drittel Regel leitet sich aus dem Goldenen Schnitt ab, ist aber ein wenig einfacher zu erklären. Hierbei wird das Bild in neun gleich große Teile unterteilt: Es entstehen zwei horizontale und zwei vertikale Linien. Die wichtigsten Bildelemente liegen hierbei nicht in der Mitte, sondern auf einer der Drittellinien und die Bildwirkung erhöht sich dadurch automatisch um ein Vielfaches. Praktisch: Die meisten Kameras sind längst mit Rasterlinien ausgestattet, also keine Panik!
7. Fazit: Seien Sie mutig, brechen Sie die Regeln!
Die Regeln brechen, das hört sich leicht an. Denn wer die Regeln brechen will, muss diese zunächst beherrschen. Gepaart mit einer gehörigen Portion Mut und Selbstvertrauen können großartige Bilder entstehen.
Hinzu kommt ein gewisses Maß an technischem Know-how. Denn ein wirklich gutes Bild beinhaltete nicht nur eines dieser Gestaltungsmittel, es verbindet mehrere Elemente miteinander. Das Ergebnis? Es bringt den Betrachter dazu, seine Aufmerksamkeit für mehr als nur einen flüchtigen Moment zu binden.
Eines liegt jedoch auf der Hand: Namhafte Fotografen wie Helmut Newton, Peter Lindbergh oder Diane Arbus sind sicherlich nicht so erfolgreich geworden, weil sie sich strikt an alle Regeln der Bildgestaltung gehalten haben. Sie haben die Regeln bewusst gebrochen, zu ihren Gunsten ausgebaut und auf diese Weise ihren ganz eigenen Stil entwickelt. Herausgekommen sind Bilder, die auf der ganzen Welt bekannt und wichtige Zeugnisse der Fotografiegeschichte sind.
Anne Schellhase war von 2015 bis 2019 Mitglied der fotoMAGAZIN-Redaktion.
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