Das ist schade, denn die Arbeit mit Model, Licht, Pose und einem Schuss Zufall lädt förmlich dazu ein, zu experimentieren und jedes Fotoshooting zu einem einzigartigen Erlebnis mit ebenso einzigartigen Ergebnissen zu machen. Welche Experimente das sein können? Wir haben einige Vorschläge für Sie.
Schwarzweiß-Porträts
Schwarzweiß-Porträts mögen auf den ersten Blick nicht besonders innovativ erscheinen, doch das Geheimnis einer guten Monochrom-Aufnahme beschränkt sich nicht auf das Herunterdrehen der Farbe in der Bildbearbeitung, sondern beginnt bereits bei der Planung der Foto-Session. Die Reduktion des Bildes auf bloße Kontraste verändert die Ansprüche an praktisch alle Belange eines Fotoshootings, von der Location, über die Lichtsetzung bis hin zum Model und der passenden Pose. Interessanterweise wirken Bilder, die als Schwarzweiß-Konzept erdacht wurden, häufig auch in Farbe, wogegen es umgekehrt – wie es von den meisten Fotografen leider gemacht wird – nicht funktioniert.
Zunächst einmal sollten Sie sich eine passende Location suchen. Um die Person auf dem Bild noch besser zur Geltung zu bringen und der Aufnahme gleichzeitig eine gewisse Natürlichkeit zu verleihen, eignet sich ein leicht strukturierter Hintergrund ideal. In vielen Fällen darf dieser Hintergrund etwas dunkler ausfallen, beispielsweise in Form eines schwarzen Molton-Tuchs, eines Vorhangs oder im Freien auch eines dunklen Waldes oder einer schattigen Mauer. Der nächste wichtige Baustein ist das Licht. Bekennen Sie sich zu Kontrasten! Schwarzweiß-Porträts mit zu weichem und diffusem Licht wirken häufig flach und emotionslos. Arbeiten Sie mit Kontrasten und setzen Sie entsprechend auf ein intensives Licht. Ein von oben kommendes Hauptlicht – auch die Mittagssonne eignet sich hier, siehe unten – oder ein Streiflicht zur Betonung von Formen und Konturen eignen sich hier ideal.
Auch der Ausdruck des Models spielt eine entscheidende Rolle: Prädestiniert für Schwarzweiß-Aufnahmen sind einerseits zeitlose, stoische und leicht heroische Aufnahmen mit markantem Ausdruck, oder aber dokumentarische, eher zufällig anmutende Posen im Stil der Street-Fotografie. Für die Bildbearbeitung empfiehlt es sich, das Bild zunächst in Farbe zu exportieren (als PSD oder TIFF) und erst in Photoshop nach abgeschlossener Retusche per Schwarzweiß-Einstellungsebene final umzuwandeln. So haben Sie die bearbeitete Aufnahme auch immer noch in Farbe parat.
Dennoch kann es für gezielte Retusche sinnvoll sein, das Bild bereits in Schwarzweiß zu sehen. Erstellen Sie deshalb zunächst eine Schwarzweiß-Einstellungsebene. So können Sie nicht nur jeden Farbkanal einzeln anpassen, sondern die Schwarzweiß-Umwandlung auch jederzeit abschalten. Meist bietet es sich an, zudem eine Gradationskurven-Einstellungsebene hinzuzufügen – Schwarzweißfotos benötigen viel Kontrast. Mit einer leichten Vignette können Sie die Intensität der Aufnahme noch weiter verstärken. Diese lässt sich über einen kleinen Trick genauso flexibel handhaben wie eine Einstellungsebene: Erstellen Sie eine Grauebene im Modus „Ineinanderkopieren“, wandeln Sie diese in ein Smartobjekt um und fügen Sie über Filter -> Objektivkorrektur bei Benutzerdefiniert eine Vignette hinzu. So können Sie die Vignette ein- und ausblenden und in der Intensität variieren.
Extreme Schatten
Eine weitere Möglichkeit, auf kreative Weise Intensität in Ihre Porträts zu zaubern, ist der Einsatz extremer Schatten. Die meisten Fotografen meiden die Mittagssonne wegen unvorteilhafter Schatten, in und unter den Augen, unter der Nase oder am Hals. Doch genau dieses harte Mittagslicht lässt sich, richtig eingesetzt, perfekt für markante Porträts nutzen.
Konkret gibt es hier verschiedene Möglichkeiten: Sie können die oben genannten Schatten in der vollen Mittagssonne bewusst erzeugen und als Stilmittel verwenden, vor allem bei dominanten, harten Aufnahmen, oft von männlichen Models. Sie können sich mit Ihrem Model aber auch etwas schräg oder seitlich zur Sonne drehen und die harten Schatten einsetzen, um das Gesicht auf dem Bild ein Stück weit im Dunkel zu verstecken. Als dritte Variante eignet sich ein nach oben geneigter Kopf. Dadurch vermeiden Sie die harten Augen- und Nasenschatten, nutzen aber weiterhin das harte und intensive Mittagslicht. Oder – ebenfalls beliebt – Sie erzeugen durch Palmwedel, eine Jalousie oder andere Gegenstände bewusste Schattenstrukturen, die das harte Sonnenlicht etwas entschärfen und zugleich ein besonders interessantes Bilderergebnis liefern. Lange Brennweiten eignen sich für diese Art der Fotografie hier besonders gut, da sie durch die Tele-typischen Komprimierung die Person auf dem Bild noch markanter wirken lassen.
Farbige Blitze
Und auch im Studio gibt es tolle Möglichkeiten, sich in der Porträt-Fotografie kreativ auszutoben. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz farbiger Blitze. Abhängig vom gewünschten Ergebnis gibt es hier zwei Möglichkeiten: Sie können einen normalen, also weißen Blitz mit einem farbigen Blitz kombinieren. Der weiße Blitz sollte etwas heller sein, wodurch lediglich die Schattenbereiche vom zweiten, farbigen Blitz leicht eingefärbt werden. Das kann zu interessanten Effekten führen, von einem farbigen Streiflicht bis hin zu einem farbigen Körperschatten an der Wand. Experimentieren Sie hier gerne auch mit unterschiedlich harten Lichtformern auf Ihrem Hauptblitz, um die Konturen der Schatten zu verändern.
Alternativ dazu können sie auch auf einen weißen Blitz verzichten und stattdessen mit unterschiedlichen Farbfolien blitzen, häufig verwendet wird hier blau und rot. Hier empfiehlt es sich, vor allem mit der Position der Blitze zu experimentieren. Nutzen Sie den skulpturalen, etwas surrealen Charakter der entstehenden Aufnahmen und achten Sie auf eine passende Pose.
Ganz generell gibt es noch zwei weitere Punkte, die beim Fotografieren mit farbigen Blitzen zu beachten sind: Der Farbeffekt entsteht in der Regel durch Farbfolien, die vor den Blitz gehängt werden. Deaktivieren Sie in jedem Fall das Einstelllicht Ihres Blitzes, andernfalls kann sich die Farbfolie stark erhitzen und schmelzen. Außerdem sollten Sie unbedingt in RAW fotografieren, um später den Weißabgleich anpassen zu können. Durch das fehlende weiße Licht im Bild ist der automatische Weißabgleich der Kamera überfordert und es wird eine manuelle Einstellung nötig. In Lightroom lassen sich die Farben bei RAW-Aufnahmen über den Weißabgleich zudem nach Ihren Wünschen noch verschieben und darüber hinaus mittels der Farbregler noch anpassen, intensivieren oder abschwächen.
Blitz mit Langzeitbelichtung
Eine weitere sehr kreative Technik mit bisweilen wenig vorhersehbaren, aber tollen Ergebnissen und einem hohen Anspruch an den Fotografen ist die Kombination eines Blitzes mit einem punktuellen Dauerlicht und einer längeren Verschlusszeit. Das Studio wird dazu komplett abgedunkelt. Verwenden Sie eine fokussierte, starke Dauerlichtquelle, beispielsweise eine Taschenlampe, um bestimmte Bereiche des Models punktuell auszuleuchten. Wählen Sie nun eine Verschlusszeit von 0,5s bis 2s und schwenken Sie Ihre Kamera unmittelbar nach Auslösen des Blitzes leicht zur Seite. Die punktuelle Ausleuchtung durch das Dauerlicht führt dazu, dass dieser Bildbereich entsprechend Ihrem Kameraschwenk verwischt, wodurch eine an sich scharfe Aufnahme – durch den Blitz – mit einer sehr dynamischen Bewegungsunschärfe entsteht. Von der Position des Dauerlichts über die Verschlusszeit bis hin zur Bewegung Ihrer Kamera gibt es hier etliche Faktoren, mit denen Sie experimentieren können, jedes Bild ist eine Überraschung und ein absolutes Unikat! Gerade in der heutigen, digitalen Zeit, ist diese handwerkliche Umsetzung eines herausragenden Effektes besonders lobenswert!
Porträts im Tilt-Shift-Look
Tilt-Shift-Objektive finden vor allem in der Produkt- und Architekturfotografie Einsatz, zur Korrektur stürzender Linien oder dem Kippen der Schärfeebene. Doch auch für die Porträtfotografie birgt das Spiel mit ungewohnten Schärfeverläufen sehr hohes Potenzial, beispielsweise in Form eines Lensbaby.
Die hier vorgestellte Variante erfordert weder ein spezielles Tilt-Shift-Objektiv noch ein Lensbaby, dafür aber hohe Konzentration auf Seiten des Fotografen. Die eigentliche Vorgehensweise ist schnell erklärt: Schrauben Sie Ihre Optik von der Kamera ab und halten Sie diese beim Fotografieren leicht schräg vor den Sensor. Durch das Kippen verschiebt sich die Fokusebene und es entstehen sehr spannende Schärfverläufe.
Geht es um die praktische Umsetzung, wird diese Art zu fotografieren allerdings sehr anspruchsvoll: Zunächst einmal besteht durch den Schlitz zwischen Objektiv und Kamera vor allem bei spiegellosen Modellen, dass Staub auf den Sensor gelangt. Setzen Sie diese Technik deshalb nur unter sehr sauberen und kontrollierten Bedingungen ein. Zum Zweiten benötigen Sie für den gewünschten Schärfe-Effekt eine offene Blende. Bei einigen Herstellern, beispielsweise Nikon, ist die Blende bei abgeschraubtem Objektiv geschlossen, weshalb Sie zunächst mit einem Stück Klebeband den Blendenhebel am Objektiv in Offenblende-Position fixieren müssen.
Auf fotografischer Seite besteht die Herausforderung darin, die Kamera und das Objektiv gleichzeitig zu bedienen – Kamera mit rechts, Optik mit links – und mit einem Finger der linken Hand zusätzlich zum richtigen Kippwinkel noch den Fokus manuell zu justieren. Verwenden Sie für größtmögliche Flexibilität beim Fokussieren idealerweise ein Makro-Objektiv. Die Ergebnisse werden nie perfekt scharf sein, aber gerade diese völlig ungewöhnliche Unschärfeverlagerung macht den Reiz dieser Art von Fotografie aus, zumal je nach Lichteinfall durch die Lücke zwischen Objektiv und Body noch spannende Lichteffekte entstehen können.
Fazit
Die Porträtfotografie bietet unzählige kreative Möglichkeiten, um sich künstlerisch auszutoben und einzigartige Ergebnisse zu erzielen. Schauen Sie über Ihren Tellerrand hinaus und nehmen Sie Ihre Models mit auf eine völlig neue Reise! Ob durch die Nutzung von Schwarzweiß-Techniken, das Experimentieren mit Schatten, den Einsatz farbiger Blitze oder das Spielen mit Langzeitbelichtung und Tilt-Shift-Effekten – jede Methode eröffnet neue Perspektiven und Herausforderungen. Mit der richtigen Herangehensweise und etwas Übung können Sie nicht nur Ihre fotografischen Fähigkeiten ausbauen, sondern auch nachhaltig beeindruckende Bilder erschaffen, die sowohl technisch anspruchsvoll als auch künstlerisch wertvoll sind.
Text: Sebastian Sonntag
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