Bis zum 20. Mai 2024 zeigt die Berliner Helmut Newton Stiftung 250 Werke aus der Zeit zwischen 1910 und den späten 1970er Jahren aus dem amerikanischen Bildarchiv des Condé Nast Verlags. Zu den vielen in Berlin gezeigten Meisterwerken gehören Aufnahmen von Fotografinnen und Fotografen wie Diane Arbus, George Hoyningen-Huene, William Klein oder Cecil Beaton.
> Mehr zur Ausstellung „CHRONORAMA“ in der Helmut Newton Stiftung
Wir durften bereits im März 2023 die Vernissage „CHRONORAMA“ in Venedig besuchen:
Gibt es irgendwo ein stilvolleres, grandioseres Entrée zu einer Fotoausstellung als hier bei diesem Juwel der italienischen Kunst- und Kulturgeschichte? Das Wassertaxi tuckert an einem sonnenbestrahlten Frühlingstag im März auf Venedigs Canal Grande vorbei an den jahrhundertealten Kulissen der Lagunenstadt, lässt die knipsenden Touristenmassen an der Rialtobrücke hinter sich und legt jetzt sanft schaukelnd vor dem renovierten Palazzo Grassi an.
Die Schätze des französischen Kunstsammlers François Pinault
Von der klassizistischen Hausfassade grüßt über dem Eingangsportal ein Stoffbanner: „CHRONORAMA“ – Fotografische Schätze des 20. Jahrhunderts“. Die angekündigten Schätze stammen aus dem Besitz des Hausherrn, dem einflussreichen französischen Kunstsammler und Großunternehmer François Pinault. Er hat sie 2021 erworben und nun wird im Palazzo Grassi erstmals eine Auswahl dieser Vintage-Prints der Öffentlichkeit präsentiert: 407 Werke aus der Zeit zwischen 1910 und 1979, im Auftrag des amerikanischen Verlagshauses Condé Nast aufgenommen von einigen der innovativsten Fotografen des vergangenen Jahrhunderts.
„Ich glaube nicht, dass es noch einmal etwas Vergleichbares zu dem geben wird, was Sie hier sehen.“
Ivan Shaw, Corporate Director of Photography bei Condé Nast
Von Cecil Beaton bis Helmut Newton
Zu Condé Nasts Zeitschriften-Imperium gehören Hochglanz-Illustrierte wie die Vogue, Vanity Fair, Glamour und GQ. Titel, die für stilprägende Fashion- und Porträtfotografie der Goldenen Jahren des Printjournalismus stehen. Fotografen wie Edward Steichen, Cecil Beaton, André Kertész, Irving Penn und Helmut Newton haben für sie gearbeitet. François Pinault hat nun einen kleinen, qualitativ hochwertigen Teil des riesigen Condé Nast-Bildarchivs gekauft, von dem er eine Auswahl in Venedig zeigt.
"Die Fotografien werfen ein Licht auf die historischen und ästhetischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts und laden uns zu einer aufschlussreichen Reise durch die schillernde kulturelle Lebendigkeit dieser Zeit ein“, schreibt der prominente Kunstsammler im Begleitkatalog zur Ausstellung.
Der verblüffende erste Eindruck von der Ausstellung
An den Wänden des Palazzo Grassi finden die Ausstellungsbesucher erstaunlich viele Vintage-Prints im Großformat 40 x 50 cm. Es mag zwar erscheinen, als wären diese vorzüglichen Abzüge bereits für Ausstellungszwecke vorbereitet worden. Doch die Abzüge wurden einst tatsächlich alle als Druckvorlagen verwendet, nachdem Condé Nasts Bildredaktionen eine erste Vorauswahl bei den Kontaktabzügen der Fotografen getroffen hatten.
Wieso hat Condé Nast seine Fotoschätze nie in einer derart umfassenden Ausstellung gezeigt?
Matthieu Humery, der Kurator der imposanten Bilderschau, hat „CHRONORAMA“ als Trip durch die Jahrzehnte mit bekannten Bildikonen und einigen bislang nie gesehenen Trouvaillen konzipiert. „Ich glaube nicht, dass es noch einmal etwas Vergleichbares zu dem geben wird, was Sie hier sehen“, schwärmt jetzt Ivan Shaw in einem Raum mit Fotografien aus den 50er-Jahren. Shaw ist Corporate Director of Photography bei Condé Nast und eigens zur Vernissage dieser Ausstellung aus New York eingeflogen. Er findet auch eine Antwort auf eine naheliegende Frage: Wieso hat Condé Nast diese oder andere Fotoschätze seines einzigartigen Archivs nie in einer derart umfassenden Ausstellung gezeigt? „Wir sind eben ein Verlagshaus und kein Museum“, meint Shaw.
Das Goldene Zeitalter der Fotografie bei Condé Nast
Zeitschriften waren bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die Massenmedien, die der neuen, innovativen Fotografie eine breite Öffentlichkeit verschafften. Der Verleger Condé Nast (1873-1942) betrachtete Mode, Kultur und Design als die drei große Säulen seines Verlagshauses. Die Vogue war dabei für die Mode, Vanity Fair für Kunst und Kultur und House & Garden für Wohnen und Design zuständig.
Das Goldene Zeitalter der Fotografie bei Condé Nast lag nach Ansicht des Kurators Matthieu Humery in den 1920er- und 1930er-Jahren. „Wenn ich mir all diese großartigen Fotografen von damals ansehe: Männer wie Edward Steichen und Horst P. Horst arbeiteten für den Verlag. Damals gab es eine ungeheure Qualität und eine Vision. Bedenken Sie, dass man noch 1910 bei Zeitschriften mit Illustrationen arbeitete.“
Das erste Coverfoto bei Condé Nast – eine Aufnahme von Edward Steichen – ist am 15. Juli 1932 auf dem Titel der Vogue erschienen. Langsam wechselten sich danach Illustrationen und Fotografien ab, bevor der endgültige Wechsel zur Fotografie vollzogen wurde. Vanity Fair produzierte noch 1936 überhaupt keine Foto-Cover.
Irving Penn und Edward Steichen sind unter vielen Stars die beiden herausragenden Künstler, die die Fotografie des Verlagshauses geprägt haben. Penn arbeitete seit den 1940er-Jahren bis zu seinem Lebensende für Condé Nast. „Er war in der Lage, sich selbst immer wieder neu zu erfinden und konstant seine Qualität zu bewahren“, schwärmt Humery. Nicht zu unterschätzen ist seiner Meinung nach auch der Einfluss stilbildender Vogue-Art-Direktoren wie Alexander Liberman. „Natürlich haben die Fotografen die eigentlichen Visionen“, findet der Kurator. Die Bildauswahl sei jedoch eine andere Angelegenheit. „Nicht immer sind sich beide Seiten einig. Es war interessant zu sehen, was die Vision des Fotografen und die des Art-Direktors war.“ Eine Kombination aus beidem brachte oft den kreativen Content.
Den größten Einfluss auf die Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts hatten bei Condé Nast nach Ansicht des Ausstellungsmachers nicht die Modefotografen, sondern die Porträtisten. Das zeigt sich an seiner Bildauswahl. „Das Genre vereint so viele Elemente: Es bringt Dokumentarisches ein, du kannst etwas über die Zeit sagen, über Moden, Stil und die Persönlichkeit der Abgebildeten. Bei Vanity Fair und Vogue sind die Porträts herausragend.“
Erstaunlich wenige Farbaufnahmen finden sich im „CHRONORAMA“
Dabei tauchen im Verlagsarchiv bereits erste Farbdias aus den 1940er-Jahren auf. Cecil Beaton war mit Herbert Mather und Erwin Blumenfeld einer der ersten, dessen Farbfotos im Hause publiziert wurden. Alexander Liberman hatte beschlossen, Farbfotos in die Vogue aufzunehmen. Während bei Schwarzweißaufnahmen meist nur die Prints der Auftragsarbeiten im Archiv blieben behielt bei Farbaufnahmen Condé Nast die Originaldias. Es wäre spannend, in einer künftigen Ausstellung die Entwicklung der Farbfotografie bei Condé Nast zu betrachten.
Stillschweigen über die Ankaufssumme
Heute ist das Bildarchiv des Verlags längst vollständig digitalisiert. Aus journalistischer Sicht gäbe es keinen Grund, die Fine-Art-Prints weiter zu lagern. Dieser Bestand ist allerdings ein Schatz von hohem kulturellen und finanziellen Wert, wie diese Ausstellung eindrucksvoll zeigt. Welchen Teil hat François Pinault nun erworben? Die Ausstellungsmacher und Condé Nast geben sich hier ebenso bedeckt wie bei der Frage nach der Ankaufssumme. „Wir besitzen eine riesige Sammlung und haben uns sehr genau überlegt, was wir verkaufen, doch darüber sprechen wir nicht“, meint dazu Condé Nasts Fotochef Ivan Shaw.
Es zeigt sich, dass Fotografie zunehmend zum Sammelobjekt geworden ist
Was bleibt nach der Betrachtung von über 400 Aufnahmen einiger der besten, innovativsten Fotografen des 20. Jahrhunderts im Palazzo Grassi? Nach dem Blick auf Mode, Kunst und Kultur, Persönlichkeiten, die das Jahrhundert prägten. Der Einblick auf wechselnde Moden und Abbildungsweisen und ein Kaleidoskop der Goldenen Jahre des Zeitschriftenjournalismus. Hier zeigt sich deutlich, dass diese Werke fern der Illustriertenseiten eigenständig im Kunstrahmen bestehen. Nicht zuletzt ist dies auch ein Panorama der Magazinfotografie des analogen Zeitalters bis in die 1970er-Jahre. Es folgte die Ära der Supermodels, der Copyright-Verschärfungen und eine Zeit, in der die Fotografie zunehmend zum Sammelobjekt geworden ist.
Das passende Schlusswort gibt uns Condé Nasts Fotochef Ivan Shaw mit auf den Weg: „Natürlich gibt es andere gute Bildarchive, aber dieses ist einzigartig. Ich habe auch noch nie eine Fotoausstellung wie diese gesehen“, meint der Amerikaner. „Mir gefällt der Gedanke, dass sie nun die ganze Welt sehen kann.“
Die Ausstellung
„CHRONORAMA. Photographic Treasures of the 20th Century“. Die Ausstellung mit Fotografien aus dem Archiv des Condé Nast Verlages ist bis zum 7. Januar 2024 in Venedigs Palazzo Grassi zu sehen.
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