Es ist, als ob jeder von ihnen täglich zweieinhalb Marathons über Stock und Stein laufen würde – ein permanenter Hindernislauf durch herumliegendes Geäst anstelle eines zivilen Kräftemessens auf Asphalt. Dieser kräftezehrende Drill für Psyche und Physis schweißt all diejenigen eng zusammen, die eine derartige tägliche Tortur durchstehen. Im Auftrag der holzverarbeitenden Industrie streifen Jahr für Jahr die professionellen Baumpflanzer durch Kanadas entlegenste Wälder, um Millionen Setzlinge mit einem kräftigen Spatenstich und ein paar schnellen Handgriffen in den fruchtbaren Boden zu stecken.
Rita Leistner weiß: „Tree Planting“ ist ein echter Knochenjob
Zwischen 1984 und 1993 hat Rita Leistner hier selbst über eine halbe Million Bäume gepflanzt. 2016 ist sie zurückgekehrt, um die Arbeit einer eingeschworenen Community von etwa 100 professionellen Baumpflanzern im Outback Kanadas in einen Dokumentarfilm und einem Bildband zu dokumentieren. Vier Jahre lang fotografierte und filmte sie die einsamen Streifzüge der Pflanzer bei Tag und das Gemeinschaftsgefühl der Community nächtens am Lagerfeuer. Ein „Tree Planter“ schleppt täglich die bis zu 50 Pfund schwere Last der Setzlinge in Säcken durch unwegsames Gelände und pflanzt Tausende junger Bäume.
Der Neubeginn, das Wurzelschlagen in unwirtlicher Umgebung, all das steht für viele Saisonarbeiter, die hier landen, für einen persönlichen Neustart. Auch für Rita Leistner ist der Job eine Reise ins Ich geworden, ein Prozess der Selbstfindung, der sie fürs Leben geprägt hat. Heute liefert diese Erfahrung die Grundlage, das Fundament für ihre künstlerische Arbeit. „Das Pflanzen dient mir als Metapher für ganz viele Dinge im Leben“, sagt sie. „Es ist körperlich unglaublich anstrengend, aber du musst zugleich sehr motiviert arbeiten, denn du wirst pro Baum und nicht pro Arbeitsstunde bezahlt.“ Wer in diesem Job länger durchhält, der hat gelernt, sich zu motivieren, selbst wenn er bis zum Zähneklappern friert, erschöpft ist und attackierende Mückenschwärme ihn in den Wahnsinn treiben. Die einzige Chance, diese Tage durchzustehen, ist es, stur weiterzumachen, egal was passiert.
„Ich habe meinen Spaten durch meine Kamera ersetzt aber auf gewisse Art mache ich noch immer das Gleiche.“
Rita Leistner, Fotografin und Filmemacherin
Ein Lösungsansatz für den Klimawandel
Das Aufforsten abgeholzter Wälder ist ein wichtiger Bestandteil der Forstwirtschaft und kann durchaus auch als ein Lösungsansatz bei unserem Umgang mit dem Klimawandel betrachtet werden. Schließlich zeigt es einen Weg auf, mehr Kohlendioxid aus der Erdatmosphäre zu bekommen. „Niemand würde den Wald sonst so zeigen wie ich“, sagt Leistner über ihren ästhetischen Ansatz. „Allenfalls ein Maler!“ Sie fotografierte in der Natur mit professionellem Studiolicht – brachte einen tragbaren Blitz mit einer Softbox mit, um ihre Motive wie an einem Filmset auszuleuchten. „Deshalb erscheinen meine Aufnahmen nun leuchtend hell und farbenfroh, mit großer Tiefenschärfe. Selbst kleinste Details kommen zum Vorschein. Ich fand, diese Menschen sollten heroisch wie auf Gemälden der Renaissance gezeigt werden.“
Rita Leistners Fotografie ist kein klassischer Bildjournalismus
Leistner kombiniert eine real vorgefundene Situation, wie wir sie aus Dokumentarfilmen kennen, mit einem dramatisch inszenierenden Kunstlicht. Und plötzlich erscheinen uns die Waldarbeiter als Helden des Alltags.
Das „Tree Planters“-Projekt
„The Tree Planters“ umfasst eine Fotoausstellung, den Dokumentarfilm „Forest for the Trees“ und einen 220-seitigen Bildband (Dewi Lewis Publishing). Im Mai 2023 präsentierte Rita Leistner ihre Arbeit als Teil der „FotoFest Reviewed“- Ausstellung im Museum Moderner Kunst der georgischen Hauptstadt Tiflis.
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