Die gute Nachricht vorneweg: Karneval umfasst manchmal tatsächlich noch mehr als rote Pappnasen am dünnen Gummibändchen, blaue Ringelpullis vom Discounter und ein stets gefülltes Glas Sekt in der Hand; mehr als quälende Tä-Täää!-Fanfaren bei endlos langen Vereinssitzungen und enthemmte Gelegenheits-Flirts am Tresen einer schummrigen Eckkneipe. Ja, es gibt noch einen authentischen Kern dessen, was immer schon den Karneval ausgemacht hat: Traditionelles Brauchtum, dessen Wurzeln bis in vorchristliche Riten und 5000 Jahre alte mesopotamische Kultur reichen.
„Der Karneval ist so viel mehr als die Party oder die Parade auf der Straße“
Jason Gardner, Fotograf
Jason Gardner hat in den letzten 16 Jahren die enorme Vielfalt der Karnevals-Traditionen in sechzehn Ländern rund um den Globus dokumentiert. Er hat Männer porträtiert, die sich einen schweren Zottelpelz-Turm auf den Kopf stülpten, Frauen, die sich als Flowerpower-Zombies schminkten und einen seltsamen Waldschrat, der sich Moos und Baumrinden um den Körper gebunden hatte. „Der Karneval ist so viel mehr als die Party oder die Parade auf der Straße“, sagt der in Paris und New York lebende Amerikaner. „Er hat eine tiefere Bedeutung und stärkt dabei die regionale und nationale Identität. Er markiert den Zyklus der Jahreszeiten und bietet Menschen die Möglichkeit, soziale Normen außer Kraft zu setzen und Rollenbilder umzukehren.“
Die dunklen Seiten des Karnevals
Jason Gardner nimmt heute bei seinen Recherchen eine Rückbesinnung auf die dunklen Seiten des Karnevals und auf animalisches, heidnisches Brauchtum wahr. Seiner Ansicht nach geht es den traditionellen Karnevalisten im Kern auch darum, vorübergehend aus sich herauszugehen und die Geister der Ahnen zu ehren.
Erste Aufnahmen der Karnevalstraditionen machte der Fotograf einst während eines Brasilien-Aufenthaltes, bei dem er zunächst eigentlich Musiker porträtieren wollte. Nach weiteren Brasilien-Trips folgten fotografische Annäherungen an die Karnevalsfestivitäten in seinem Land – beim Mardi Gras in New Orleans – bevor Gardner begann, Europas Karnevalsriten zu dokumentieren.
Jason Gardner findet beim Karneval interkulturelle Gemeinsamkeiten
Trotz aller regionalen Unterschiede findet der Fotograf viele interkulturelle Gemeinsamkeiten: „Es ist dieses Verlangen, die Normalität abzuschütteln. Das geschieht sowohl mit Hilfe der Kostümierung als auch im Verhalten und der Verwendung von Symbolen, die für die Beziehung des Menschen zur Natur stehen. Auch in den Gesangsritualen, den Umzügen, dem lärmenden Schellenläuten, mit dem der Winter aus den Dörfern vertrieben wird und das Glück und eine reiche Ernte heraufbeschworen wird.“ Und schließlich findet sich hier auch das Konzept der Rebellion, das sich in der Personifizierung des Teufels und der Zerstörung manifestiert, im Aufeinanderprallen von Moderne und Antike, von Ritual und Realität.
Ausstellungshinweis: Jason Gardner im Stadhaus Ulm
Das Stadthaus Ulm zeigt noch bis zum 18. Februar 2024 die Ausstellung „Kostüm und Maskerade“ mit Fotografien von Jason Gardner und Suzanne Jongmans.
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