Jean Michel Vecchiet

In der Dokumentation „Peter Lindbergh – Women's Stories“ wagte sich der französische Regisseur Jean Michel Vecchiet an sein zweites Filmportrait des Starfotografen.

Manfred Zollner

Manfred Zollner

Chefredakteur fotoMAGAZIN

Jean Michel Vecchiet

Regisseur Jean Michel Vecchiet hat bereits Dokumentationen über das Leben von Jean-Michel Basquiat und Andy Wahhol gedreht.

Foto: © Catherine Cattaruzza

Jean Michel Vecchiet kannte Peter Lindbergh viele Jahre und hat miterlebt wie dieser mit Natürlichkeit, Charisma und seiner undogmatischen Herangehensweise ein neues Frauenbild in der Modefotografie und der Werbung durchgesetzt hat. In seinem neuen Film befragt Vecchiet insbesondere die Frauen in Peters Privatleben nach dem Mann hinter den Bildern. So zeigt der Film die Geschichte, das Talent und die Leistung des kürzlich verstorbenen Ikonen-Machers.

Manfred Zollner sprach im Mai 2019 mit Jean Michel Vecciet.

„Künstler sind kreativ, weil eines Tages etwas passiert ist, das alles ausgelöst hat.“

Jean Michel Vecchiet

fotoMAGAZIN: Warum haben Sie sich entschieden, einen Film über Peter Lindbergh zu drehen?
Jean Michel Vecchiet: Ich bin Peter zum ersten Mal vor 25 über einen Freund begegnet. Wir saßen gemeinsam beim Abendessen in Arles und ich kannte ihn noch überhaupt nicht. Am Tag danach sprachen mich Freunde an: Weißt du überhaupt, wer das war? Kennst du seine Arbeiten? Als ich mich erkundigte, bot mir ein Filmproduzent sofort an, den ersten Dokumentarfilm über ihn zu drehen. Erst dann wurde mir erst richtig klar, wie stark seine Arbeiten sind. Ich hätte mir damals nicht ausgemalt, dass wir bis heute in Kontakt bleiben würden.  

Peter Lindbergh

Peter Lindbergh wurde 1944 im heutigen Polen geboren und wuchs in Duisburg auf.

Foto: © Stefan Rappo

fotoMAGAZIN: Was ist Ihrer Meinung nach Peter Lindberghs größte Errungenschaft im Bereich der Fotografie?
Jean Michel Vecchiet: Er hat die Modewelt dazu gebracht, sich auf seine Welt einzulassen, Teil seiner Welt zu werden. Und er hat es geschafft, dass wir völlig vergessen, dass das Modefotos sind, die wir bei seinen Bildern betrachten.

fotoMAGAZIN: Was haben Sie bei den Dreharbeiten über Lindbergh gelernt, dass Sie vorher noch nicht wussten?
Jean Michel Vecchiet: Er hat die Gabe, Models völlig vergessen zu lassen, dass er sie gerade fotografiert. Es gibt immer diesen Moment, in dem die Stars, die Models, all die Menschen, die er ablichtet, ihre Posen und Attitüden ablegen. Und in genau diesem Augenblick schafft er es, sie echt und wahrhaftig in seinen Bildern einzufangen.

DVD "Peter Lindbergh - Womens Stories"

Der Film: „Peter Lindbergh – Women Stories“ von Jean Michel Vecchiet. Ab 11. Oktober auf DVD erhältlich.

© DCM

fotoMAGAZIN: Wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?
Jean Michel Vecchiet: Er drängt sich beim Shooting nie auf und bewundert seine Models – egal ob berühmt oder nicht. Peter hat sich zudem eine kindliche Begeisterungsfähigkeit bewahrt.

fotoMAGAZIN: Wie haben Sie die Erzählstruktur Ihres Filmes aufgebaut?
Jean Michel Vecchiet: Ich habe ihn als Psychoanalyse angelegt. Dabei verfolge ich Peters Lebensgeschichte von den Anfängen und beginne schon mit den Jahren vor seiner Geburt. Wir tragen das alles als Teil unseres Unterbewusstseins ein Leben lang mit uns. Die Frauen, die im Film zu Wort kommen, geben Einblick in sein Innenleben. Künstler sind kreativ, weil eines Tages etwas passiert ist, das alles ausgelöst hat.

fotoMAGAZIN: Peter Lindbergh wurde in einer Zeit berühmt, als die Medien- und die Kunstwelt noch anders tickten. Glauben Sie, dass eine ähnlich phänomenale Karriere für junge Fotografen heute noch möglich wäre?
Jean Michel Vecchiet: Nein, eine Karriere wie die von Peter oder anderen großen Künstlern ist so nicht mehr denkbar. Die Gesellschaft funktioniert jetzt anders und in diesem Business wird nur noch alles für den Augenblick entschieden. Es gibt keinen Platz für langfristige Jobverpflichtungen. Heute wird etwas genommen, konsumiert und weggeworfen. Peter hat spät in seinem Leben begonnen und davor vieles ausprobiert. Im Zeitalter von Instagram betrachtet sich jeder als Künstler. Das Bild wird trivialisiert. Unsere Gesellschaft ist nicht mehr in der Lage, Entwicklungen abzuwarten.

Michaela Bercu, Linda Evangelista und Kirsten Owen auf einem Bild

Michaela Bercu, Linda Evangelista und Kirsten Owen auf einem Bild von Peter Lindbergh aus dem Jahr 1988.

Foto: © Peter Lindbergh
 

fotoMAGAZIN: Welche Situation stellt sich heute jungen Fotografen?
Jean Michel Vecchiet: Milliarden neuer Fotos werden täglich auf den Markt geschwemmt. Das verhindert jegliche Lesbarkeit. Selbst die Mehrzahl der Kritiker ist schon nicht mehr in der Lage, Bilder kritisch zu analysieren.

Naomi Campbell

Neben Astrid Lindbergh und Charlotte Rampling kommt auch Naomi Campbell, hier auf einem Foto von Lindbergh, in dem Film zu Wort.

Foto: © Peter Lindbergh

fotoMAGAZIN: Wer sind für Sie die bedeutendsten lebenden Fotografen?
Jean Michel Vecchiet: Neben Peter Nobuyoshi Araki, Jeff Wall, Steve McCurry, Lee Jeffries, Guido Guidi, Nan Goldin, Jane Atwood und eine weniger bekannte Fotografin: Catherine Cattaruzza.

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