Florence Bourgeois: Leiterin der Messe „Paris Photo“

Florence Bourgeois ist seit 2015 Leiterin von Paris Photo, der wichtigsten Fotokunstmesse der Welt. Im Interview berichtet sie über die Bedeutung junger Fotokunst bei Paris Photo 2023, Sammlertrends und die Pariser Fotoszene.

Manfred Zollner

Manfred Zollner

Chefredakteur fotoMAGAZIN

Florence Bourgeois
Foto : ©Jonathan Llense

Vom 9. bis 12. November 2023 fand die Fotokunstmesse Paris Photo zum 26. Mal statt. Wir waren vor Ort und sprachen mit der Direktorin Florence Bourgeois, die bereits seit 2015 für diese internationale Messe verantwortlich ist.

fotoMAGAZIN: Welche Stellung hat die Fotografie heute auf dem Sammlermarkt für Kunst?
Florence Bourgeois: Sie ist definitiv ein Teil des Kunstmarktes. Ich habe jetzt keine genauen Zahlen, würde aber vermuten, dass fünf bis zehn Prozent der Verkäufe des Kunstmarktes heute über die Fotografie kommen.
 
fotoMAGAZIN: Dies ist das letzte Jahr, in dem Paris Photo auf den Grand Palais Éphémère ausweichen muss, weil das Haupthaus an der Pont Alexandre noch wegen Renovierung geschlossen ist. Können. Sie bereits ein Fazit über die Jahre hier ziehen?
Florence Bourgeois: Das Ausweichquartier war wirklich eine Herausforderung, vor allen Dingen, weil wir uns dabei von 16.000 auf 12.000 Quadratmeter verkleinert haben, also um 20 Prozent geschrumpft sind. Aber das Timing war insofern „perfekt“, weil das während der Pandemie und unmittelbar danach passierte. Im vergangenen Jahr und noch viel mehr vor zwei Jahren wollten die Menschen nicht gerne zu Großevents gehen.
Das Gebäude des Grand Palais Éphémère eignet sich zudem fantastisch für die Fotografie. Jetzt kommen tatsächlich manche auf mich zu und fragen: müssen wir denn unbedingt zurück ins Grand Palais? Aber natürlich ist das Grand Palais eine Architektur-Ikone! Ich gehe alle zwei Monate hin und schaue, welche Fortschritte die Renovierung macht.
 
fotoMAGAZIN: Stimmt es, dass bei der Rückkehr ins Grand Palais 2024 mehr Fläche zur Verfügung steht als je zuvor?
Florence Bourgeois: Dann haben wir 21.000 Quadratmeter, mehr als vor der Renovierung. Dort wird es zusätzliche Galerien geben, vielleicht präsentieren wir dort auch eine Sammlung.

Besucher der Paris Photo 2023

65.000 Fotointeressierte haben vom 9. Bis 12. November die internationale Fotokunstmesse Paris Photo ins Grand Palais Éphémère besucht.

Foto: © Manfred Zollner

fotoMAGAZIN: Wo sehen Sie Paris Photo heute auf einer internationalen Fotokunst-Ebene, beispielsweise im Vergleich zu Photo London oder Photo Shanghai?
Florence Bourgeois: All diese Events zeigen, dass die Fotografie einen festen Platz auf dem Kunstmarkt hat. Paris Photo steht meines Erachtens auf einer ganz anderen Stufe – wegen seiner Geschichte, seiner Größe und nicht zuletzt der Galerien, die hier auf der Messe vertreten sind. Viele der Galerien, die Sie hier finden, werden Sie nicht auf Photo London entdecken. Wir haben 160 Museen aus aller Welt, die zu uns kommen. Ich bin nicht sicher, ob das bei anderen Fotokunstmessen genauso ist. Dies ist die 26. Ausgabe von Paris Photo. Diese Messe ist für viele ein Fixtermin im Jahreskalender.
 
fotoMAGAZIN: Sie sind seit 2015 bei dieser Messe als Direktorin verantwortlich. Wie hat sie sich aus Ihrer Sicht entwickelt?
Florence Bourgeois: Wir haben versucht, etwas für die Liebhaber der Fotografie zu bieten, für Sammler. Die Arbeiten hier sind mittlerweile immer diverser geworden. Wir zeigen mehr Emerging Artists, also vielversprechende neue Künstler. Das interessiert die Sammler, aber auch die Museen. Dafür haben wir vor fünf Jahren die Sektion „Curiosa“ neu geschaffen. Die Arbeiten dort werden von Anna Planas kuratiert. Ich denke, für Sammler ist es sehr interessant, neue Künstler zu entdecken. Und hier bekommen Galerien einen Zugang zur Messe, der für sie interessant ist, was die Preisgestaltung betrifft. Das ist eine Entwicklung.
Zudem haben wir in diesem Jahr noch einen Digitalbereich ins Leben gerufen, da wir merken, dass sich die Abbildungsprozesse weiterentwickeln. Das wollen wir spiegeln und beobachten, wie das bei den Sammlern ankommt. Das können hier NFTs sein oder Arbeiten, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) entstanden sind. Heute sprechen wir mehr über KI als vor einem Jahr über NFTs. Wir versuchen immer, das größtmögliche Spektrum an fotografischen Arbeiten aus zwei Jahrhunderten anzubieten.

„Wir versuchen immer, das größtmögliche Spektrum an fotografischen Arbeiten aus zwei Jahrhunderten anzubieten.“

Florence Bourgeois, Leiterin von Paris Photo

fotoMAGAZIN: Die Marktsituation in der Stadt scheint sich verändert zu haben. Die über viele Jahre zeitgleich veranstaltete Messe Fotofever gibt es heute nicht mehr, in den Museen gab es einen Generationswechsel unter den Kuratoren für Fotografie. Wie wirkt sich das auf die Fotoszene aus?
Florence Bourgeois: Sie ist immer in Bewegung. Wir haben auf unserer Messe noch immer Galerien, die Arbeiten aus der Fotogeschichte präsentieren genauso wie Galerien für zeitgenössische Fotografie. Es wird interessant sein, zu sehen, wie sich das Interesse der Sammler in den nächsten zehn Jahren verändert.

Daido Moriyamas „The Tokyo Toilet“-Stand mit auf Toilettenpapier gedruckten Fotos

Eyecatcher der Pariser Messe: Daido Moriyamas „The Tokyo Toilet“-Stand mit auf Toilettenpapier gedruckten Fotos des japanischen Meisters der Street Photography.

Foto: © Manfred Zollner


 
fotoMAGAZIN: Fotofever erschien stets wie eine Messe für Galerien, die die Aufnahme bei Paris Photo nicht schaffen. Glauben Sie, dass es nochmal eine Off-Messe in diesem Format geben wird?
Florence Bourgeois: Es gibt bereits jetzt viele Alternativen wie „approche“, „Offprint Paris“ und andere Fotobuchmessen in der Stadt. Dies ist immer mehr eine Woche geworden, in der es in ganz Paris um die Fotografie geht.

„Dies ist immer mehr eine Woche geworden, in der es in ganz Paris um die Fotografie geht.“

Florence Bourgeois, Messeleiterin Paris Photo

fotoMAGAZIN: Sie haben hier einen hohen Anteil deutscher Fotogalerien bei Paris Photo! Wie kommt das – Ist das den prominenten Fotografen der sogenannten „Düsseldorfer Schule“ zu verdanken?
Florence Bourgeois: Die meisten Galerien hier sind aus Frankreich. An zweiter Stelle kommen die amerikanischen Galerien und am drittstärksten sind bereits die deutschen Galerien vertreten. Die Künstler der „Düsseldorfer Schule“ sind zum Teil dafür verantwortlich. Aber natürlich hat Deutschland eine lange Fotogeschichte und dort gibt es einen großen Markt.
 
fotoMAGAZIN: Neben den Galerien reisen jedes Jahr auch viele deutsche Sammler zu Paris Photo …
Florence Bourgeois: Das ist richtig. 40 Prozent aller Sammler kommen aus dem Ausland. Darunter sind ganz viele Deutsche.
 
fotoMAGAZIN: Wie wichtig ist es Ihnen, bei Paris Photo auch junge Sammler anzusprechen?
Florence Bourgeois: Sie sind die Sammler von Morgen. Das ist einer der Gründe, warum wir die Curiosa-Sektion ins Leben gerufen haben. Selbst während des JP Morgan Events am Dienstagabend vor dem offiziellen Messebeginn (eine private Veranstaltung des Messesponsors) sehen Sie, dass hier nicht nur Banker um die Siebzig erscheinen. Auch viele junge Leute werden Sie dort antreffen. Das Foto spricht heute jeden an. Wir wissen, die die Fotografie oft am Anfang einer Kunstsammlung steht. So fangen viele Liebhaber des Mediums mit einem Fotobuch an. Sie können kleine Sondereditionen eines Bildbandes mit einem beigelegten Print kaufen. Manche Sammler beginnen mit einem dieser Bücher, kommen dann zu den „Emerging Artists“ auf der Messe und landen eines Tages bei den größeren Galerien. Das wissen wir.

„Wir wissen, die die Fotografie oft am Anfang einer Kunstsammlung steht.

Florence Bourgeois, Leiterin von Paris Photo

fotoMAGAZIN: Die Büchersektion gibt vielen Besuchern zudem die Gelegenheit, bei Paris Photo ihre Lieblingsfotografen während der Booksignings zu treffen.
Florence Bourgeois: Genau, wir haben 400 Signierstunden von Fotografen während der Messe! Die Energie, die wir hier bekommen ist so wichtig! Für die Fotobuchverleger ist es ein Termin im Jahr, den sie auf keinen Fall verpassen möchten.
 
fotoMAGAZIN: Es scheint im Konzept der Messe wichtig zu sein, jedes Mal neue Galerien aufzunehmen. Wie gehen Sie hier vor?
Florence Bourgeois: Von einem Jahr auf das nächste haben wir ungefähr 30 Prozent neue Galerien. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig, denn es trägt dazu bei, dass diese Messe frisch bleibt. Das ganze Jahr reisen wir durch die Welt und suchen mit unserem Auswahlgremium neue Projekte und neue Galerien, neue Regionen. In diesem Jahr sind ein wenig mehr Galerien aus Südamerika dabei, wenngleich sie noch eine Minderheit bleiben.
 
fotoMAGAZIN: Unterstützen Sie dabei kleine Galerien aus Dritte-Welt-Ländern, die die hohen Preise für Messestände nicht bezahlen können?
Florence Bourgeois: Nicht finanziell, denn da bin ich zu 100 Prozent für eine Gleichbehandlung aller Galerien.
 
fotoMAGAZIN: Ich stelle mir vor, dass es für eine Galerie aus dem Iran extrem teuer ist, zur Messe zu kommen …
Florence Bourgeois: Ja, doch die Galerien haben andere Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung zu bekommen wie beispielsweise argentinische Galerien über den Staat. Wo wir helfen können, ist im Bereich Kommunikation. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel für eines unserer beiden Key-Visuals das Foto eines iranischen Künstlers aus der Sektion Curiosa ausgewählt. Das bringt natürlich enorme Sichtbarkeit und taucht dann überall in der Presse auf.

Pflanzenfotos der deutschen Fotokünstlerin Kathrin Linkersdorff bei Paris Photo

Eines der Messe-Highlights 2023: Die Pflanzenfotos der deutschen Fotokünstlerin Kathrin Linkersdorff am Stand der New Yorker Galerie von Yossi Milo.

Foto: © Manfred Zollner

fotoMAGAZIN: Paris Photo war einer der ersten Orte, an dem ich afrikanische Fotografie bei europäischen Galerien gesehen habe – noch bevor deren Fotokunst in deutschen Galerien auftauchte. Die Messe hat hier wirklich den Markt gepusht.
Florence Bourgeois: Wir wissen, dass das hier immer ein ganz großes Rendezvous ist. Die Besucher reisen aus der ganzen Welt an, weil sie die größtmögliche Fotoszene sehen möchten. Das ist ein Ort der Begegnungen und des Austausches. Hier nehmen manche Projekte auch ihren Anfang. Das ist fantastisch!

„Ich möchte hier Dinge zeigen, die die Menschen sonst nicht immer sehen können.“

Florence Bourgeois, Leiterin der Fotokunstmesse Paris Photo

fotoMAGAZIN: In welche Richtung möchten Sie Paris Photo in den kommenden Jahren weiterentwickeln?
Florence Bourgeois: Ich möchte neue Projekte und neue Positionen im Bereich der Fotografie finden, die wir bisher noch nie gesehen haben. Und Länder einbringen, die bislang noch nicht so vertreten sind. Wir müssen das Angebot erweitern und auch eng mit Institutionen zusammenarbeiten. Die Büchersektion soll lebendig und wichtig bleiben. Zudem möchte ich wieder Fotosammlungen präsentieren – ob die nun privat sind oder von einem Museum. Ich möchte hier Dinge zeigen, die die Menschen sonst nicht immer sehen können.
 

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