fotoMAGAZIN: Sie haben sich für das Jahr 2012 eine Auszeit genommen. Was steckt hinter diesem Sabbatical?
Bettina Rheims: Ich hatte den Punkt erreicht, an dem ich feststellte, dass ich kein Vergnügen mehr hatte. Das Verlangen, Bilder zu machen, war weg. Natürlich hätte ich weiter fotografieren können, weil ich das Spiel kenne, doch ich wollte lieber andere Dinge tun. Jetzt habe ich nicht die Hälfte dessen gemacht, was ich mir vorgenommen hatte. Diese Sabbaticals verstreichen zehnmal schneller als gewöhnliche Jahre.
fotoMAGAZIN: Hat Sie diese Auszeit verändert?
Rheims: Ja. Ich war vor dieser Auszeit sehr nervös. Alles erschien mir stressig und ermüdend. Mein Körper war schlapp. Ich hatte es satt, jeden Tag im Studio zu sein. Wissen Sie, ich habe mit meinem Team gelebt, es ist wie meine Familie, doch irgendwann konnte ich sie alle nicht mehr hören. So sagte ich mir: Ich muss da jetzt raus, bevor ich griesgrämig werde.
fotoMAGAZIN: Sie haben schon vor über 20 Jahren an dem Sujet der Transsexualität gearbeitet, das sie bei den nun in Berlin gezeigten Gender Studies wieder aufgreifen. Hat sich die Einstellung der Gesellschaft dazu verändert?
Rheims: Vor 20 Jahren war das noch mehr ein Spiel mit Androgynität. Es ging in den späten 80er-Jahren angesichts von Aids um den Schutz der Jugendlichen. Sie spielten dieses Verführungsspiel mit männlicher/weiblicher Seite. Die Leute, die ich beim Gender-Projekt traf, haben einen stärkeren Überlebensdrang. Für sie ist es eine Notwendigkeit, kein Spiel.
fotoMAGAZIN: Hatten diese über Facebook gefundenen Menschen Erwartungen, was beim Shooting entstehen sollte?
Rheims: Sie hatten riesige Erwartungen. Manche dachten, sie würden glamouröser, over-the-top rüberkommen. Viele kamen total herausgeputzt, als wollten sie eine Party besuchen. Haarteile, Make-up, künstliche Augenlider: Sie hatten sich so schön gemacht, wie es nur ging. Wir haben dann alles abgenommen, sie entblößt bis auf die Substanz und sie damit verängstigt. Die Menschen müssen tapfer sein und mir sehr vertrauen, um das alles mitzumachen, doch letztlich haben wir ihnen auch viel gegeben. Sie konnten einen Tag diese Super-Person sein.
„Erotik ist das, was du durch´s Schlüsselloch siehst.“
Bettina Rheims
fotoMAGAZIN: 1990 sagten Sie über die Sexualität: In meiner Generation waren wir nicht so selbstsicher und sorgenfrei in der Art, wie wir mit unserer Sexualität umgingen ...
Rheims: Heute denke ich genau das Gegenteil. Wir hatten viele Freiheiten. In den späten 60er-Jahren gab es keine Krankheiten, wir konnten die Pille nehmen, wenig später waren Abtreibungen erlaubt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich viele Probleme mit dem Sex hatte außer dass ich vielleicht zu viel Sex hatte (lacht).
Es war eine wirklich coole Zeit. Ich denke, die hatten in den 90er-Jahren eine harte Zeit mit ihrer Sexualität. Sie konnten eben nicht immer sorgenfrei Sex haben, selbst die Generation meines Sohnes, der 1980 im Zeitalter von Aids geboren wurde.
Factfile: Bettina Rheims
Geboren am 18. Dezember 1952 in Paris.
Profifotografin seit 1978.
Legendäre Bildbände wie Female Trouble und Chambre Close. In ihrem Werk setzt sich das ehemalige Model tabulos mit Themen wie Identität, Geschlechterrollen, gesellschaftlichen Wahrnehmungsmustern und Nacktheit auseinander.
2012 hat Rheims eine Auszeit von der Fotografie genommen. Die Berliner Galerie Camera Work zeigte Ende 2012 Rheims Gender Studies
fotoMAGAZIN: Was hat das Internet an der Sexualität verändert?
Rheims: Es gibt so viele virtuelle Dinge. Das erschreckt mich, das mag ich nicht. Meine Freunde aus der Gender-Serie leben praktisch im Internet. Sie haben ihren Freundeskreis im Internet, haben dort ihr Sexleben.
Du möchtest sie am liebsten schütteln und fragen: Was hast Du denn schon tatsächlich gemacht? Dann merkst Du, dass es nur ums Image geht: Sie reden über Sex, haben aber keinen. Es ist für sie eine virtuelle Existenz.
fotoMAGAZIN: Mir scheint, dass Sie den Begriff Erotische Fotografie hassen. Warum ist das so?
Rheims: Erotik!! Das klingt so nach diesem Frauending, nach Lingerie einkaufen. Ich habe nichts dagegen, wenn man meine Arbeit pornografisch nennt. Manchmal ist sie das. Erotik ist das, was Du durch's Schlüsselloch siehst. Sie hat dieses Konzept des Indirekten, des Verdeckten. Ich bin ein sehr direkter Mensch. Ich mache etwas oder ich mache es nicht.
fotoMAGAZIN: Ist Ihnen die sogenannte Erotikfotografie zu scheinheilig?
Rheims: Ich mache keine erotischen Bilder! Manchmal sind meine Fotos dirty, manchmal können sie hart sein, aber sie sind ganz sicher nicht erotisch.
„Manchmal sind meine Fotos dirty, manchmal auch hart, aber ganz sicher nie sexy.“
Bettina Rheims
fotoMAGAZIN: Sie hatten Ihre ersten Erfolge mit Aufnahmen von Stripperinnen. Erinnern Sie sich noch, warum Sie damit angefangen haben?
Rheims: Serge Bramly, der Vater meines Sohnes, gab mir eines Tages eine Kamera. Ich verkaufte damals Gemälde in einer Galerie und langweilte mich tödlich. Serge meinte, jeder habe ein Talent in sich, es müsse etwas in mir stecken. Und ich erinnerte mich, dass ich als kleines Kind fotografiert hatte. Also gab er mir eine Kamera.
Ich ging raus auf die Straße, machte Fotos und merkte, dass dies nicht mein Thema war. Dann wollte ich Frauen beim Entkleiden fotografieren. Ich rief meine Freundinnen und meine Schwester an und fragte, ob sie sich vor meiner Kamera ausziehen würden. Natürlich wollte keine. Am nächsten Tag besuchte ich einen kleinen Jahrmarkt mit dieser Striptease-Bude. Ich ging rein und dort waren diese Frauen, die sich für ein paar Groschen zitternd in der Kälte entblätterten. Ich dachte, die könnten sich in meinem Studio aufwärmen und ich kann sie fotografieren.
Das machte ich über ein Jahr, entwickelte die Bilder, dachte aber nie daran, dass daraus mehr werden könnte. Ich betrachtete meine Fotos und war glücklich. Alles war ein wenig unscharf, weil meine Kamera nicht so toll war, doch ich mochte die Arbeit. Mir wurde klar, welche Macht Du hast, wenn Du dieses Ding in den Händen hältst.
fotoMAGAZIN: Worauf freuen Sie sich, wenn Sie jetzt wieder zur Kamera greifen werden?
Rheims: Auf das nächste Bild. Wenn ich zur Kamera greife, passiert etwas Seltsames: Momentan habe ich Spaß, doch das ist nicht mein richtiges Leben.
Mein wirkliches Leben ist hinter der Kamera. Hier fühle ich mich am meisten lebendig, hier ist mein wahres Ich.
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