Seine Bilder strahlen eine zeitlose Eleganz und Ruhe aus, eine innere Balance der auf ihre Essenz reduzierten Dinge. Bastiaan Woudt erforscht in seiner Kunst das Geheimnis und die verborgene Struktur des Schönen und Ästhetischen. Der Niederländer ist ein genialer Bildkonstrukteur, ein Architekt skulpturaler Fotoikonen und hochtalentierter Formfinder. In seinen Bildkompositionen möchte unser rastloser Blick immer wieder neu eintauchen und Ruhe finden.
Der 35-jährige Künstler hat seine Liebe zur Fotografie erst 2009 entdeckt, nach der Geburt seines Sohnes, als er erstmals eine Kamera erwarb. Heute ist er ein international erfolgreicher Fotograf mit eigenem Buchverlag.
Wir trafen Bastiaan Woudt zu unserem Interview im September 2022 bei der Berlin Photo Week:
fotoMAGAZIN: Sie haben während des Corona-Lockdowns angefangen, auch als Buchverleger tätig zu werden. Wie kam es dazu?
Bastiaan Woudt: Die Idee dazu war älter. Ich wollte immer schon ehrlichere Bücher machen. Nicht nur meine eigenen Bildbände, sondern auch für andere Fotografen, denen ich eine faire Zusammenarbeit anbieten will. Wir möchten nicht viele Bücher produzieren.
fotoMAGAZIN: Sie bringen hier auch einen Background im Marketing ein ...
Bastiaan Woudt: Ja, und einen Background als Fotobuchsammler. Mich interessierten als Sammler besonders die Porträt-Bände. Richard Avedons "In the American West" ist eines meiner Lieblingsbücher. Es hat wirklich die Landschaft für Fotografie verändert. Aber auch Helmut Newton. Er ist zwar nicht einer meiner Helden, aber er war großartig. Heute gibt es kaum mehr Fotografen wie ihn.
fotoMAGAZIN: Wieso ist das so?
Bastiaan Woudt: Er lebte in einer Zeit in der noch mehr Dinge möglich waren. Heute denkt jeder Smartphone-Besitzer, er sei ein Fotograf. Damals war es etwas Besonderes, ein Fotograf zu sein. Jetzt wirst du den ganzen Tag mit Bildern bombardiert. Da musst du als Bildermacher wirklich herausstechen. Früher war es einfacher, aufzufallen.
„Heute denkt jeder Smartphone-Besitzer, er sei ein Fotograf. Da musst du als Bildermacher wirklich herausstechen.“
Bastiaan Woudt, Fotograf
fotoMAGAZIN: Sehen Sie sich mit Ihrem Ansatz als Einzelgänger in der Welt der zeitgenössischen Fotokunst?
Bastiaan Woudt: Ja und nein. Das fasziniert mich heute. Früher waren all diese berühmten Künstler in Kontakt miteinander. Es gab diese Orte, zu denen jeder kam. Künstler aus ganz verschiedenen Bereichen kannten sich. Heute habe ich das Gefühl, jeder Fotograf lebt auf seiner eigenen kleinen Insel, macht sein eigenes Ding und betrachtet andere Fotografen als Konkurrenz. Das ist meiner Meinung nach nicht nötig. Wir machen doch alle unser eigenes Ding. Lasst uns doch zusammenarbeiten. Es sollte hier mehr Harmonie geben.
fotoMAGAZIN: Wie findet man als Künstler seinen eigenen Style, Herr Woudt?
Bastiaan Woudt: Das muss ein natürlicher Prozess sein. Du suchst nicht aktiv danach, sondern machst das, was du tun musst. Wenn du dann zurückblickst, wirst du Dinge finden, die du magst. Ich bemerkte beispielsweise, dass mir die schlichten Hintergründe mit einem Objekt oder einem Menschen im Vordergrund gefallen und graphische Strukturen. Wenn du an dem Punkt angekommen bist, an dem du ein gutes Gefühl bei dem hast, was du machst, wirst du es wiederholen. Und so findest du deinen Stil. Ich werde oft gefragt wann ich meinen Stil gefunden habe. Da gibt es keinen genauen Zeitpunkt. Das erste Mal wurde mir bewusst, dass da so etwas ist, als mir Leute sagten: Ich habe ein Bild gesehen und wusste sofort, dass es von dir ist. Das passierte ungefähr um das Jahr 2015.
fotoMAGAZIN: Das ist sehr schnell in Ihrer Entwicklung als Fotograf passiert. Gibt es einen künstlerischen Background in Ihrer Familie?
Bastiaan Woudt: Mein Vater hatte eine Druckerei, er produzierte Bücher. Die mütterliche Seite ist die künstlerische, doch Kunst war mir immer ziemlich egal, als ich aufwuchs. Ich dachte, dass ich eines Tages ein Hotel- oder Restaurantbesitzer sein würde. Das war mein großer Traum. Die Fotografie habe ich ganz zufällig entdeckt. Als mein Sohn geboren wurde, kaufte ich mir eine Kamera und habe mich in das Fotografieren verliebt. Ich merkte, dass ich die Fotografie wirklich liebte. Daraus hat sich eine Passion, eine Obsession entwickelt. All das hat sich so schnell entwickelt.
„Als mein Sohn geboren wurde, kaufte ich mir eine Kamera und habe mich in das Fotografieren verliebt. Daraus hat sich schnell eine Obsession entwickelt.“
Bastiaan Woudt
fotoMAGAZIN: Haben Sie den beruflichen Wechsel in die Fotografie je als riskant empfunden?
Bastiaan Woudt: Rückblickend war es das, aber damals kam es mir nicht so vor. Wir waren am Ende einer wirtschaftlichen Krise und mit meiner Ausbildung war es sehr schwierig, einen Job zu finden. Ich hatte immer gesagt, dass ich nicht Hotel- und Evenmanagement studieren würde um anschließend in einer Bar zu arbeiten. Mein Job sollte meiner Ausbildung entsprechen. Deshalb wagte ich es, auszuprobieren, ob ich stattdessen mit meiner Fotografie den Lebensunterhalt verdienen konnte. Ich gab mir dafür ein Jahr Zeit und wenn es nicht funktioniert hätte, hätte ich etwas anderes gesucht.
fotoMAGAZIN: Ist es Ihnen wichtig, eine Art von Fotografie zu produzieren, die zeitbeständig ist?
Bastiaan Woudt: Ja, das ist mir sehr wichtig. Ich liebe die zeitlose Essenz der Arbeiten der Ära von Richard Avedon und Irving Penn. Meiner Meinung nach kann man sich diese Arbeiten hunderte Jahre anschauen. Zeitgenössische Fotografie ist meist mehr trendbezogen und zeitbezogen.
fotoMAGAZIN: Ist Glamour zeitlos?
Bastiaan Woudt: Nein, weil er sehr auf Trends anspricht.
fotoMAGAZIN: Ist Schönheit zeitlos?
Bastiaan Woudt: Mehr als Glamour. Weil ich hier etwas suche, das nicht die Zeit braucht, um ein gutes Bild zu sein.
fotoMAGAZIN: Wie definieren Sie Schönheit?
Bastiaan Woudt: Schönheit ist nicht definierbar. Sie ist sehr subjektiv.
fotoMAGAZIN: Jede Zeit hat doch ihre Schönheitsideale. Und manchmal ändert sich die Ästhetik in historischen Kreisläufen. Achten Sie auf diese Dinge?
Bastiaan Woudt: Ich schaue nicht auf Trends, achte nicht darauf, was andere denken. Ich mache einfach das, wovon ich fühle, dass es gemacht werden muss und dabei verlasse ich mich ganz auf mein Herz und auf die Dinge, die ich wirklich tun möchte. So sehe ich überhaupt nicht, was um mich herum passiert.
„Ich mache einfach das, wovon ich fühle, dass es gemacht werden muss und dabei verlasse ich mich ganz auf mein Herz.“
Bastiaan Woudt
fotoMAGAZIN: Suchen Sie heute andere Dinge in Ihren Bildern als zu Ihren Anfängen?
Bastiaan Woudt: Ich suche noch immer diese zeitlose Ästhetik, aber über die Jahre kreuzen andere Dinge deinen Weg. Diese Dinge machen den Unterschied aus. Du triffst andere Leute und setzt die Dinge in eine andere Perspektive. Heute interessiere ich mich auch stärker für andere Kunstformen wie zum Beispiel Skulpturen! Viele ordnen meine Arbeiten als skulptural ein. Ich habe das immer wieder zu hören bekommen. Das war ein Ausgangspunkt zu einem großen neuen Projekt, bei dem es um Wahrnehmung geht. Es besteht aus Fotos und Skulpturen.
fotoMAGAZIN: Geht es im Kern Ihrer Arbeit um Beauty – um Ihre Sicht von Schönheit?
Bastiaan Woudt: Ich denke schon. Es geht um meine Sicht der Welt. Ich halte Ausschau nach ästhetischer, zeitloser Schönheit und finde sie in ganz vielen Dingen – in Menschen, Stillleben, Blumen, Landschaften. Besonders jetzt, wo unser Blick so stark auf dem Terror und den Dingen liegt, die nicht funktionieren, tut es gut, sich auf die schönen Dinge zu fokussieren.
fotoMAGAZIN: Ihre Arbeitsweise ist sehr spontan ...
Bastiaan Woudt: Bislang habe ich den spontanen, entscheidenden Moment bei der Aufnahme abgewartet. Da geht es überhaupt nicht um Zufälle. Denn es ist eben kein Zufall, dass wir alle im Studio sind, mit Models und den Stylisten. Es geht mir um die Energie und all das, was in diesem Moment passiert. Ich kann nie vorhersehen, was dann passieren wird. Aus diesem Grund mag ich auch keine Mood-Boards: Da planst etwas und arbeitest auf einen Moment hin. Und wenn der nicht passiert, dann hast du nichts. Da lasse ich mich lieber im Studio überraschen.
fotoMAGAZIN: Spontaneität scheint mir oft ein Zeichen von Reife zu sein. Du musst an deine Arbeit glauben, um das Selbstvertrauen mitzubringen, dass etwas Gutes passieren wird. Hatten Sie immer dieses Vertrauen?
Bastiaan Woudt: Nicht bei den ersten 30 Sessions. Aber mein Vertrauen ist schnell gewachsen als ich wusste, dass fasst alles was ich machte zu etwas Speziellem, Frischen führte. Ich kann wirklich sagen, dass ich in meinem Leben kein Fotoshooting gemacht habe, mit dem ich anschließend unzufrieden war. Mindestens ein gutes Foto war immer dabei. Du musst als Fotograf zünden, musst reingehen und etwas aus der Situation machen.
fotoMAGAZIN: Brauchen Sie die ständige Herausforderung von neuem Input oder reicht Ihnen die Gewissheit, dass ohnehin etwas passieren wird?
Bastiaan Woudt: Ich finde meinen Frieden, indem ich mir andere Kunst ansehe. Sich von anderen Fotografen Inspiration zu suchen wäre sehr gefährlich. Deshalb schau ich mir lieber andere Kunst an, beispielsweise Architektur.
fotoMAGAZIN: Sie haben ein Model, das Sie als Ihre Muse bezeichnen. Finden Sie neue Perspektiven in der Arbeit mit ihr?
Bastiaan Woudt: Was ich mit Tinodena habe, ist ganz besonders. Sie versteht meine Kunst. Es wäre schwer, noch jemand wie sie zu finden. Jeder Künstler sollte eine Muse haben, wenn er mit Menschen arbeitet. Es ist so gut, in eine künstlerische Beziehung mit ihr zu treten und neue Perspektiven für das gleiche Sujet zu finden. Das ist eine Herausforderung, denn du musst jedes Mal etwas Neues versuchen. Und das ist auch der Spaß dabei.
fotoMAGAZIN: Nacktheit sieht in Ihren Bildern immer natürlich aus. War das von Anfang an so?
Bastiaan Woudt: Du musst dich erst daran gewöhnen, natürlich mit der Situation umzugehen. Letztlich merkst du das später schon gar nicht mehr und suchst nur nach Formen und Rundungen. Ich bin ohnehin kein Playboy-Fotograf. Helmut Newton war da beispielsweise viel direkter. Akte wie er sie fotografierte, will ich nicht machen. Ich gehe lieber subtil an das Thema, mit Würde. Ich bin zwar gegen diese ganze Prüderie bei Instagram, wo man heute keine Nippel zeigen darf. Aber letztlich sind all meine Akte ohnehin schon so dezent. Ich muss da nicht viel zensieren. Ich finde Akte müssen subtil sein. Meiner Meinung nach sollte mehr der Vorstellungskraft überlassen werden und nicht einfach ein nackter Körper präsentiert werden.
fotoMAGAZIN: Ihre Arbeiten zeigen ein ausgeprägtes Gespür für Formen. Geht es Ihnen letztlich darum, eine architektonische Struktur in einem Bild zu finden?
Bastiaan Woudt: Ja. Es geht nur um Textur, Strukturen, Formen. Beim einem Porträt geht es um den Charakter. Der Vergleich zwischen der Architektur und einem nackten Körper ist gut. So betrachtet kommt sehr viel Inspiration aus der Architektur.
fotoMAGAZIN: Sie haben früher als DJ gejobbt. Hat Musik Ihre Art zu fotografieren beeinflusst?
Bastiaan Woudt: Auf gewisse Weise, ohne dass ich das konkret benennen könnte. Als Heranwachsender habe ich getrommelt, bevor ich DJ wurde. In allem steckt ein Rhythmus. Der Rhythmus der Fotografie liegt im Zusammenspiel der Formen und der Kommunikation zwischen den Bildern.
fotoMAGAZIN: Wenn wir Fotos mit Musik vergleichen: Welche Musik wären dann Ihre Bilder?
Bastiaan Woudt: Jazz Musik. Ich sage das, obwohl ich gar nicht viel Jazz höre.
fotoMAGAZIN: Ich hätte die Bilder mit klassischer Musik verglichen. Klassisch zeitlos. Es steckt eine elegante Ruhe in ihnen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Bastiaan Woudt: Während der Aufnahme suche ich wohl danach. Ein Bild muss simple sein. Die stärksten Fotos sind meist die schlichtesten. Am Set ist auch immer eine ruhige Atmosphäre. Ich bin nicht der Typ, der dort die Musik aufdreht. Es muss alles eine Gelassenheit ausstrahlen. Das ist einer der Gründe, warum ich als nächstes eine Reise nach Japan machen möchte. Ich mag diese Ruhe.
„Ein Bild muss simpel sein. Die stärksten Fotos sind meist
Bastiaan Woudt
die schlichtesten.“
fotoMAGAZIN: Wie wichtig ist es Ihnen, über die Bilder anschließend zu reflektieren – obwohl Sie so intuitiv arbeiten?
Bastiaan Woudt: Der Moment, an dem ich angefangen habe, über meine Arbeiten nachzudenken, kam zu Beginn der Pandemie. Damals tauchte ich in mein Archiv ab und habe mir Arbeiten aus den letzten zehn Jahren angeschaut. Dabei entdeckte ich einiges neu und machte einen riesigen Stapel der Fotos, die mir gefielen. So ist schließlich die Auswahl meines neuen 500-seitigen Buches zustande gekommen. Jetzt bin ich richtig stolz auf dieses Buch ("Rhythm").
fotoMAGAZIN: Was sagt uns Ihre Arbeit über Sie?
Bastiaan Woudt: Das kommt bei mir alles aus dem Gefühl und ich weiß nicht woher. Ich hatte füher nie das Verlangen, mich künstlerisch auszudrücken. Mir geht es auch nicht immer darum, eine Story zu erzählen. Es geht eher um das tiefe Verlangen, etwas zu tun, das ich machen muss. Nicht weil das ein Job ist, sondern weil ich den inneren Drang verspüre, das zu machen.
fotoMAGAZIN: Brauchen Sie beim Fotografieren ein großes Team hinter sich?
Bastiaan Woudt: Oft arbeite ich ganz allein, aber für manche Shootings habe ich auch ein großes Team. Ich mag beides. Anfangs musste ich mich allerdings erst daran gewöhnen, dass plötzlich 20 Leute am Set waren, und fragte mich, was die alle dort wollten.
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