Artur Walther: Sammler, Forscher und Mäzen

Der Kulturpreisträger 2021 der Deutschen Gesellschaft für Photographie, Artur Walther, über die Philanthropie und den Aufbau seiner Fotosammlung.

Manfred Zollner

Manfred Zollner

Chefredakteur fotoMAGAZIN

Der Sammler Artur Walther vor Werken von Samuel Fosso in der Düsseldorfer K21 Kunstsammlung.

Foto: © Andreas Endermann

Artur Walther ist der weltweit größte Sammler afrikanischer Fotografie. Er präsentiert diese auf einem Museumscampus in Neu-Ulm und einem New Yorker „Project Space“. Allein zwischen 2010 und 2020 hat Walther 23 Ausstellungen seiner Sammlung in New York präsentiert. Der 73-jährige Deutschamerikaner begann im Alter von 45 Jahren, Fotografie zu sammeln und baute eine Kollektion auf, um die ihn heute Museen beneiden. Wir sprachen mit ihm in der Düsseldorfer K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, in der derzeit die Gruppenausstellung Dialoge im Wandel Einblicke in seine Sammlung und sein Interesse für Fotografie aus Afrika gibt.

Körperlandschaften

„Nonkululeko“, 2003 von Nontsikelelo (Lolo) Veleko. Viele Porträts in Artur Walthers Sammlung setzen sich mit den Themen Identität, Körper und Sexualität auseinander.

Foto: © Nontsikelelo (Lolo) Veleko/ Courtesy of the Artist/ Goodman Gallery, Johannesburg und The Walther Collection, Neu-Ulm/ New York

fotoMAGAZIN: Wie definieren Sie Ihre Rolle als Sammler von Fotografie, Herr Walther?
Artur Walther: Ich sehe mich als Organisator und Vermittler. Ich bringe Wissenschaftler*innen zusammen und versuche damit, den Austausch über Fotografie zu stärken.
 
fotoMAGAZIN: Ihr Interesse lässt dabei einen wissenschaftlichen Ansatz erkennen …
Artur Walther: Es benötigt einen wissenschaftlichen Ansatz, weil in dem Bereich, in dem meine Sammlung situiert ist, in den 1990er- und 2000er-Jahren nur Grundlagenforschung existiert hat. Davor ist über das Thema kaum etwas publiziert oder ausgestellt worden und der Dialog zur westlichen Fotografie wurde nicht gesucht.  

fotoMAGAZIN: Was hat Sie dazu bewegt, zur afrikanischen Fotografie nicht nur zu recherchieren, sondern auch Bilder zu erwerben?
Artur Walther: Bei mir geht das weit über das Sammeln hinaus: Sammeln ist nur ein Teil dessen, was wir machen. Recherche, Forschung und Sammlung sind weitere Bestandteile. Ein anderer wichtiger Bereich ist es, diese Bilder auszustellen und zu publizieren.

„Ich wollte kein Sammler sein, dessen Werke nur in Schubladen liegen.“

Artur Walther, Kulturpreisträger 2021 der Deutschen Gesellschaft für Photographie

fotoMAGAZIN: Hinter Ihren Aktivitäten scheint ein ausgeprägt philanthropisches Interesse zu stecken. Ihnen geht es nicht um den Besitz der Bilder.
Artur Walther: Das stimmt. Meine Sammlung ist Teil einer Stiftung. Sie gehört mir eigentlich nicht, ich bin nur ihr Verwalter.

fotoMAGAZIN: Nach Ihrem Ausstieg aus einer Führungsposition bei dem amerikanischen Investmentbanking-Unternehmen Goldman Sachs wagten Sie einen Neuanfang. Was hat Sie damals zur Fotografie gebracht?
Artur Walther: Ursprünglich war dahinter mein eigenes Interesse an der Fotografie. Ich habe zunächst bei vielen Fotograf*innen gelernt. Gleichzeitig habe ich mich in etablierte Institutionen wie das International Center of Photography (ICP), das Whitney Museum oder das Museum of Modern Art eingebracht. Dort war ich sehr aktiv, saß in deren Komitees und engagierte mich in Projekten der Kurator*innen. Ich nahm auch teil an Diskussionen über die Frage, wie Sammlungen konzeptuell aufgestellt werden sollten und welche Themenbereiche diese berühren können. Thematisch und kulturell: Ich lernte, was wo passiert. Durch meine frühere berufliche Tätigkeit war ich bereits sehr international orientiert. Ich hatte kein Interesse, das zu wiederholen, was unzählige andere schon vor mir gemacht hatten. Ich wollte mich auf das fokussieren, was noch nicht gezeigt wurde und intellektuell, kulturell und künstlerisch von Bedeutung ist. So kam dann meine Ausrichtung nach Asien und später auf Afrika. Unsere westliche Kulturwelt war damals noch sehr auf sich selbst fokussiert.

J.D.`Okhai Ojeikere: „Hairstyles“, 1970-1979

Mwangi Hutter: „Static Drift“, 2001. Ingrid Mwangis Körperlandschaften beschäftigen sich mit dem afrikanischen Erbe der in Deutschland lebenden Künstlerin.

Foto: © Mwangi Hutter, / Courtesy die Künstler*innen und The Walther Collection, Neu-Ulm/ New York

fotoMAGAZIN: War das ICP in New York die entscheidende Institution in Ihrer Entwicklung als Sammler?
Artur Walther: Zu Beginn meiner Sammlungstätigkeit, ja. Das International Center of Photography war damals eine sehr interessante Institution.

fotoMAGAZIN: Sie waren dort über viele Jahre Trustee (Treuhänder). Warum sind Sie 2013 ausgestiegen?
Artur Walther: Ich wollte nicht in einen Interessenkonflikt geraten, da ich dann meine eigene Sammlung hatte.

fotoMAGAZIN: Sie meinten mal, dass Sie bei sich zu Hause keine Bilder mehr an den Wänden haben möchten ...
Artur Walther: Das hat mitunter konservatorische Gründe, denn mein Haus ist lichtdurchflutet. Aber es stimmt auch, dass ich die Ruhe weißer Wände genieße. Derzeit baue ich ein ganz modernes Haus für mich und die Sammlung auf dem Land, das Mitte Oktober diesen Jahres fertiggestellt wird. Dort wird es einen langen Galeriegang geben, in dem ich Ausstellungen machen werde. Es wird ein sehr ungewöhnliches Haus, vollkommen irregulär, ohne gerade Fundamentlinien.

fotoMAGAZIN: Dort soll sich also Ihr privates Lebensumfeld mit einer Ausstellungsfläche verbinden?
Artur Walther: Ja, es ist eineinhalb Stunden nördlich von New York entfernt, im Hudson Valley. Ich habe dort seit 30 Jahren ein Anwesen mit einem alten Bauernhaus, in dem ich wohne. Dazu baue ich nun das neue Haus. Darüber hinaus gibt es dort noch eine umgestaltete Scheune, eine Art Studio. Hier möchte ich auch „Artist Residencies“ einrichten.

Frauenporträt

J.D.`Okhai Ojeikere: „Hairstyles“, 1970-1979. Beim Aufbau der Walther-Collection war der nigerianische Kurator Okwui Enwezor (1963-2019) eine prägende Persönlichkeit.

Foto: © J.D. ‘Okhai Ojeikere/ Courtesy Galerie MAGNIN-A, Paris und The Walther Collection, Neu-Ulm/ New York

fotoMAGAZIN: Ihre Fotosammlung hat ursprünglich mit deutschen Künstlern ihren Anfang genommen.
Artur Walther: Ich habe mit Bernd und Hilla Becher begonnen, die ich auch persönlich kannte. Sie rieten mir, auch August Sander und Karl Blossfeldt zu sammeln, um den Fokus auf die Neue Sachlichkeit auszubauen. Danach folgten Becher-Schüler*innen, wie Thomas Struth und Thomas Ruff. Auch die US-amerikanische Fotografie interessierte mich zu dieser Zeit und ich erwarb beispielsweise Richard Avedons „The Family“. Anschließend nahm ich dann die zeitgenössische chinesische Fotografie in meine Sammlung auf.

fotoMAGAZIN: Sie haben gleich zu Beginn Ihrer Zuwendung zur Fotografie Kurse bei Stephen Shore, Mary Ellen Mark und Bruce Davidson am International Center of Photography (ICP) belegt. Haben diese großen Fotografen Ihren Blick geschult?
Artur Walther: Mein eigenes Fotografieren und das Studium der Fotografie am ICP haben mich definitiv beeinflusst. Es lehrte mich nicht nur den Umgang mit der Kamera, sondern schulte auch meinen Blick und schärfte konzeptionelle Gestaltungsideen.

fotoMAGAZIN: Wann haben Sie angefangen, sich als Sammler zu definieren?
Artur Walther: Erst viel später, nach einer gemeinsamen Afrika-Reise mit Okwui Enwezor 2004. Damals hatte ich bereits eine beträchtliche chinesische Sammlung. Ich wollte jedoch kein Sammler sein, dessen Werke nur in Schubladen liegen und nicht gezeigt werden. Die Sammlung sollte vielmehr nutzbar gemacht werden, um anhand ihrer Bestände wichtige Fragestellungen zu untersuchen und neue Ideen zu entwickeln. Doch das konnte ich nicht selbst leisten. So lud ich verschiedene Kurator*innen und Wissenschaftler*innen ein, mit der Sammlung zu arbeiten.

fotoMAGAZIN: Ab dem Moment, an dem Sie die Perspektive fanden, in welche Richtung sich die Kollektion entwickeln sollte, haben Sie sich also als Sammler definiert?
Artur Walther: Ja, weil ich dann im Diskurs und seinen aktuellen Debatten situiert war. Es brauchte beispielsweise bei China drei bis vier Jahre und ich weiß nicht wie viele Reisen, bis ich wirklich sagen konnte: Das ist eine Arbeit, die in meiner Sammlung sein sollte. Man muss ja erst die Kultur und die Künstler*innen kennenlernen und sie verstehen – einen Überblick erhalten. Ich hatte das Glück, dass Christopher Philipps (Kurator am ICP) ein Experte für chinesische Fotografie war, den ich bei diesen Reisen zur Seite hatte.

Dieses Porträt stammt von einem Star der afrikanischen Fotoszene: Der 2001 verstorbene malische Fotograf Seydou Keïta. Als Artur Walther erste Bilder von ihm erwarb, war Keïta bei uns noch unbekannt.

Foto: © Seydou Keïta/ Courtesy CAAC – The Pigozzi Collection, Geneva und The Walther Collection, Neu-Ulm/ New York

fotoMAGAZIN: Wann wurde die „Vernacular Photography“ wichtig in Ihrer Sammlung?
Artur Walther: Als ich zu historischer afrikanischer Fotografie recherchierte. In seiner Arbeit „The Black Photo Album/ Look at Me: 1890 – 1950“ hat Santu Mofokeng alte Fotografien aus dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert von Freund*innen, Bekannten und Nachbar*innen gesammelt. Sie zeigen eine andere, selbstbestimmte und progressive Darstellung der Menschen vom afrikanischen Kontinent. An der Columbia University organisierten wir 2018 ein zweitägiges Symposium, das 18 Wissenschaftler*innen aus einem breiten Spektrum akademischer Disziplinen zusammenbrachte, um sich mit „Vernacular Photography“ in verschiedenen stilistischen Formen, Gebrauchsanwendungen und regionalen Varianten auseinanderzusetzen. Das hieraus resultierende Buch „Imagining Everyday Life: Engagements of Vernacular Photography“ ist zu einem Standardwerk in diesem Bereich der Fotografie geworden.

„Irgendwann ging ich durch diese Ausstellungsräume und fragte mich: Was für ein Verrückter hat das hier zusammengetragen?“

Artur Walther, Sammler

fotoMAGAZIN: Hat Sie das amerikanische System einer Kulturförderung, die stark vom Privatsektor getragen wird, als Sammler geprägt?
Artur Walther: Ja, meine Sammlung ist keinen staatlichen Reglementarien in der täglichen Sammlungsarbeit unterlegen. Die finanzielle Förderung ist durch die Stiftung gesichert und wir sind unabhängig von Ausschreibungen und Mittelvergaben. Das erleichtert oftmals unseren Arbeitsalltag.

fotoMAGAZIN: Sie sind in Ihrem Leben selbst zwischen den Kulturen gewandert – von Deutschland nach Amerika. Hatte diese Erfahrung Einfluss auf Ihre interkulturelle Orientierung?
Artur Walther: Ja! Und natürlich die vielen Reisen, die ich
beruflich gemacht habe. Ich glaube, allein in Japan war ich ungefähr 60 Mal.

fotoMAGAZIN: In welche Richtung wird Sie Ihr Engagement künftig führen?
Artur Walther: Im nächsten Jahr wird es eine große Übersichts-Ausstellung in Deutschland geben, die alle Bereiche der Sammlung abdecken wird. Wir fangen jetzt an, daran zu arbeiten.

fotoMAGAZIN: Wie hat sich Ihr Denken als Sammler über die Jahre weiterentwickelt?
Artur Walther: Mir geht es um ganze Themenbereiche, um die Erweiterung der Sammlung durch Zukäufe, die neue Fragen aufwerfen und den fotografischen Diskurs hierdurch anregen.

fotoMAGAZIN: Besonders interessant ist in Ihrer Sammlung, dass Sie die zeitgenössische afrikanische Fotografie in einen historischen Bezug setzen und Bildern der kollonialen Zeit gegenüberstellen.
Artur Walther: Wir versuchen hierdurch die Kontinuitäten und Parallelen, aber auch Widersprüche und Irritationen innerhalb der globalen Fotografiegeschichte aufzuzeigen.

fotoMAGAZIN: Haben Sie beim Sammeln etwas über sich selbst gelernt?
Artur Walther: Als Sammler wird man mit seinen eigenen Emotionen konfrontiert. Wir zeigten beispielsweise 2015 eine Ausstellung im Pariser Maison Rouge. Dort gab es sehr viele Typologien zu sehen. Irgendwann ging ich durch diese Ausstellungsräume und fragte mich: Was für ein Verrückter hat das hier zusammengetragen? (lacht)

Die Ausstellung "Dialoge im Wandel"

Von der ethnographischen Fotografie der Kolonialzeit bis zur zeitgenössischen afrikanischen Fotokunst: Die Gruppenausstellung mit Fotografien aus der Walther Collection zeigt über 500 Werke aus 150 Jahren Fotogeschichte auf dem afrikanischen Kontinent. Bis 25. September 2022 in der Düsseldorfer K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.

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