Nach fester Überzeugung von Graciela Iturbide ist jeder Fotograf unterbewusst darauf aus, sein ganz persönliches Thema umzusetzen, ein Anliegen, das er stets mitbringt. „Ich ziehe mit meiner Kamera los, beobachte alles und halte die mythischen Aspekte der Menschen fest“, erklärt die berühmteste mexikanische Fotografin unserer Tage. „Dann begebe ich mich in die Dunkelheit, entwickle und entscheide mich für den Symbolismus.“
Gewissermaßen das Herz dieser immerzu auf sie wartenden Finsternis, das Studio der Fotografin, liegt hinter den Türen der Calle Heliotropo Hausnummer 37, am Stadtrand von Mexico City. Iturbides Retrospektive in der Pariser Fondation Cartier pour l´art contemporaine trägt den Namen ihrer künstlerischen Heimat: „Heliotropo 37“ (zu sehen bis zum 29. Mai 2022). Es ist erstaunlicherweise die erste große Bilderschau der Fotografin in Frankreich.
„Fotografieren ist für mich ein Ritual.“
Graciele Iturbide
Graciela Iturbide wurde 1942 als Tochter einer wohlhabenen, streng katholischen Familie in Mexico City geboren. 1960 heiratete Sie den Fotografen Pedro Meyer. Für ihren Einstieg in die Fotografie hätte sie dann kaum einen besseren Lehrmeister im Land bekommen können: Der Fotokünstler Manuel Àlvarez Bravo (1902-2002), dem sie während ihrer Studienzeit an der Filmhochschule begegnet war, wurde in den 1970er-Jahren Iturbides Mentor.
Sie begleitete Bravo auf Reisen durch die Dörfer ihres Landes und zu Festivals, beobachtete seine Arbeitsweise und wurde inspiriert von dessen humanistischem Ansatz. Viel wichtiger: In der Fotografie fand sie einen Weg, den Tod ihrer sechsjährigen Tochter zu verarbeiten.
Glaube, Brauchtum, Religion, Gemeinschaft und Tod sind große Themen im Werk dieser Fotografin.
„Das Auge sieht und bringt zusammen, wer du bist und was du gelernt hast. Das ist für mich die Sprache der Fotografie“.
Graciela Iturbide: Im Reich der Iguanas
Man hat Graciela Iturbides Arbeiten immer wieder in Verbindung mit der Idee des „Magischen Realismus“ lateinamerikanischer Ausprägung gebracht. Sie selbst spricht viel lieber von jener „Prise Poesie und Vorstellungskraft“, die bei ihr die traditionelle Dokumentarfotografie ein Stück weiterträgt.
Obwohl es hier den Anschein haben mag: In Iturbides Bildern ist natürlich nicht alles mythen- und symbolbeladen. Die mexikanische Alltagskultur zeigt sich uns hier voller Zeichen und Symbole im öffentlichen Raum. Doch nicht alles erscheint derart surreal wie Iturbides ikonisches Bild der Dame mit den fünf Leguanen auf dem Kopf.
Iturbide liest und interpretiert die Zeichen der Straße. Seit den 1970er-Jahren hat sie dies nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Deutschland, den USA, Japan, Indien und anderswo gemacht. „Wenn du auf Reisen bist, dann entdeckst du durch deine Einsamkeit Dinge in dir und um dich herum“, weiß sie.
In ihrer Pariser Ausstellung gibt es nun die seltene Gelegenheit, Farbaufnahmen der Künstlerin zu sehen. Auf Initiative der Fondation Cartier reiste die 80-Jährige nach Tecali, ein mexikanisches Dorf, in dem Alabaster und Onyx abgebaut werden. Und machte fast abstrakte Aufnahmen vom Schliff der Steine vor dem Hintergrund eines azurblauen Himmels. Bilder von der Textur und der Welt.
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