Peter Lindbergh (*1944, † 2019) war der prominenteste deutsche Modefotograf unserer Zeit. In seinem Bildband „Images of Woman II“ (Schirmer/Mosel) zeigt er auf 296 Seiten seine Vision von natürlicher Schönheit. Und sein unvergleichlicher Sinn für Charisma wird in diesem Werk sichtbar: Denn er schaffte es wie kein Zweiter, Gesten und Blicke festzuhalten, die das Tor zu einer anderen Welt öffnen und das Essenzielle im Beiläufigen sichtbar machen.
Im exklusiven fM-Interview (geführt im März 2015) erfahren Sie mehr über den Bildermacher und über sein Rezept gegen Routine am Set.
fotoMAGAZIN: Dieser Tage feierte Photoshop 25-jähriges Jubiläum. Hat die Software unser Bild von Schönheit nachhaltig verändert?
Peter Lindbergh: Sie hat unser Bild der Schönheit versaut, weil die Fotografen heute keinen eigenen Standpunkt haben. Photoshop ist ein Instrument, mit dem man alles glätten kann. Und man macht das, weil es möglich ist. Die Software an sich ist jedoch unschuldig, die meisten benutzen sie einfach nur falsch. Das ist wie bei einem Ferrari, mit dem man sowohl 100 km/h fahren kann, aber eben auch 200 km/h. Wenn dann einer in den Tod rast, ist automatisch der Ferrari schuld.
fotoMAGAZIN: Ist das Verlangen nach mehr Natürlichkeit etwas typisch Deutsches?
Lindbergh: Im Grunde ist in Frankreich kein interessanter Fotograf, der sich in den letzten Jahren darum gekümmert hätte. Durch Photoshop gerät total aus dem Blick, was man fotografieren möchte und warum. Ein bekannter New Yorker Retuscheur meinte mal: „Nicht die Fotografen machen die Bilder, sondern wir!“ Es gibt viele, die nicht einmal erkennen, warum die Bilder so sind, wie sie aussehen.
„Die heutige Modefotografie ist wie eine Kuh, weil viele Idioten alles sieben Mal wiederkauen.“
fotoMAGAZIN: Sie finden, ein Künstler sei ein Drittel Mainstream, ein Drittel Rebell und ein Drittel Avantgardist. Verschiebt sich diese Gewichtung bei Ihnen manchmal?
Lindbergh: Die Gewichtung verschiebt sich für jeden individuell. Wenn man die verschiedenen Identitäten übereinander legt, muss man zum Beispiel im Galeriebetrieb aufpassen, dass man den Leuten dort den künstlerischen Anteil etwas vergrößert. In Wim Wenders Film „Palermo Shooting“ kommt der Agent eines Fotografen ins Studio und sagt: „Du hast schon wieder diese Modescheiße gemacht. Dabei weißt du doch, dass die Museumsleute das nicht leiden können. “Darauf lässt Wenders den Fotografen antworten: „Das ist mir doch scheißegal, es macht mir einfach Spaß!
fotoMAGAZIN: Wie gewichten Sie heute?
Lindbergh: Ich habe als Rebell ein paar Prozent zugelegt, weil seit der Digitalisierung alle in ein Foto reinreden möchten. Das Schlimmste ist: Jetzt kommt jeder mit Fotos an. Moodboard nennt man das. Moodboard bedeutet, jemand Unbedarftes sucht viele Fotos, mischt sie zusammen und sagt: So etwas muss man auch mal machen. Keiner hat die Kreativität, sich etwas Neues zu überlegen.
fotoMAGAZIN: Wagt heute keiner Fotos, die vom bereits Bekannten abweichen?
Lindbergh: Keiner fühlt sich mehr zuständig. Alle erfüllen nur noch Aufgaben. Ich hatte eine Diskussion mit einem Art Director, der mir dauernd sagen will, wie ich meine Fotos machen soll. Dem sagte ich: ‚Dann kannst Du das Foto gleich selber machen. Ich kann nicht ein Foto machen, das ich nicht so sehe.‘
Ein andermal produzierten wir Werbemotive auf Island. Die waren sehr schön und am nächsten Tag kamen redaktionelle Fotos dran. Vorab sah ich schon den Art Director mit dem Designer diskutieren, wie wir jetzt die Fotos machen würden. Ich hatte eine solche Wut, dass ich aufstand und sagte: Redet schön weiter, ich gehe inzwischen raus und schieße die Fotos.
Ich machte Aufnahmen, die allem widersprachen, was die beiden besprochen hatten. Daraufhin warf der Kunde die Fotos weg, die wir für die Werbung produziert hatten, und nahm jene Bilder, die man mir zunächst verbieten wollte. Man muss sich eben durchsetzen. Früher habe ich meine Aufgabe anders gesehen und dachte: Die bezahlen mich. Der Kunde sucht jedoch mich aus, weil er meine Fotos haben möchte.
„Photoshop hat unser Bild der Schönheit versaut. Es ist ein Instrument, mit dem man alles glätten kann: Und man macht es auch, eben weil es möglich ist.
Der eigentliche Grund für ein Foto gerät total aus dem Blick.“
fotoMAGAZIN: Ihr Bruder ist Psychoanalytiker. Versucht er, Ihre Bilder zu deuten?
Lindbergh: Überhaupt nicht, er ist sehr zurückhaltend und sehr wissenschaftlich. (lacht) Wir reden nur über Dinge wie den Rasen hinterm Haus und das Auto.
fotoMAGAZIN: Gehen Sie Bilder analytisch an oder versuchen Sie, das Fotografieren so intuitiv wie möglich zu belassen?
Lindbergh: Fotografieren ist wie Pingpong, wenn man auf dem Niveau ist, dass man an einen Ort kommen und alles offen lassen kann. Es ist toll, wenn man frei ist und alles machen kann. Deshalb würde ich jetzt im Leben nicht aufhören zu fotografieren. Ich habe das Gefühl, jetzt habe ich das Medium so in der Hand wie nie zuvor. Früher habe ich mir noch oft gesagt: ‚das kannst Du jetzt nicht machen.‘
fotoMAGAZIN: Sie haben die heutige Fotografie mit einer Kuh verglichen …
Lindbergh: Die Modefotografie ist jetzt tatsächlich wie eine Kuh, weil viele Idioten alles sieben Mal wiederkauen. Sehen Sie sich doch mal Fotos an, von denen gesagt wird, diese hätten die Fotografie verändert: Die Fotografen von damals zogen morgens los, nahmen ein Model mit und machten, was sie wollten.
fotoMAGAZIN: Sie hassen Mechanismen. Was tun Sie gegen die Routine?
Lindbergh: Einfach reinschlagen! Weil alle denken: Dem tue ich jetzt einen Gefallen. Genau deshalb will ich das nicht. Letztens fotografierte ich Robert Pattinson für Dior. Der wollte auf keinen Fall statische Werbefotos. Daraufhin meinte ich: Dann müsst ihr anderen leider die Klappe halten. So sausten wir beide durch Los Angeles und hatten 15 Leute, die hinterher hetzten. Alles, was auf der Straße daher kam, integrierten wir reportageartig. Das hat richtig Spaß gemacht!
fotoMAGAZIN: Welche Rolle spielt der Zufall in Ihrer Karriere?
Lindbergh: Alles ist Zufall. Bei uns zu Hause gab es früher nichts Künstlerisches. „Große Kultur“ war ein kleines, durchhängendes Bücherregal, auf das Bertelsmann jedes Jahr ein Buch stellte. Mein Tor zur Welt war Knaurs Lexikon. Dort habe ich zum ersten Mal afrikanische Frauen gesehen. Meine Mutter bügelte und ich habe da drin geblättert.
Dieses Interview ist in unserer Ausgabe fotoMAGAZIN Edition 2015 erschienen. Noch mehr spannende Interviews mit den großen Bildermachern finden Sie in unserer Rubrik Interview.
Beitrage Teilen