Benetton-Skandalfotograf
Oliviero Toscani gestorben

Seine Werbeplakate für die italienische Modefirma Benetton sorgten in den 1980er und 90er Jahren regelmäßig für Skandale, aber auch für gesellschaftliche Debatten über Rassismus, Geschlechterrollen und Sexualmoral. Nun ist der Benetton-Skandalfotograf Fotograf und Werbeexperte Oliviero Toscani im Alter von 82 Jahren gestorben – er litt seit Jahren an der Hormon- und Stoffwechselerkrankung Amyloidose.

Oliviero Toscani in seiner Ausstellung 2005.

Oliviero Toscani in seiner Ausstellung 2005.

Bild: IMAGO / ZUMA Press

Eine Nonne und ein Priester, die sich küssen. Ein schwarzer Hengst, der eine weiße Stute besteigt. Ein schreiendes und blutverschmiertes Baby im Augenblick der Entbindung. Mit diesen Motiven hat Oliviero Toscani ab Mitte der 1980er Jahre für die Mode-Firma Benetton geworben. Damit hat er regelmäßig für Aufsehen und Skandale gesorgt. Aber er hat auch gesellschaftliche Debatten ausgelöst. Über Themen wie Rassismus, Geschlechterzugehörigkeit und Sexualmoral. Aber auch darüber, was Werbung sein kann und wo die Grenze zur Kunst überschritten wird. Und natürlich auch darüber, was man der Öffentlichkeit zumuten kann, darf und muss.

Im Museum für Gestaltung in Zürich war noch bis vor einer Wochen die erste Retrospektive zu sehen, die das gesamte Werk des italienischen Fotografen und Skandal-Werbers zeigt. „Die bisherigen Ausstellungen haben sich meist auf ein oder zwei Aspekte wie die Benetton-Werbung konzentriert“, erklärt der Kurator und Museumsdirekt Christian Brändle. Er wollte hingegen den ganzen Toscani zeigen, also auch seine Anfänge an der Kunstgewerbeschule in Zürich, seine Zeit als junger Werbefotograf in New York der 1970er Jahre und seine ersten legendären Anzeigenkampagnen mit Andy Warhol für Polaroid oder die provokante Anzeige für Jesus Jeans, auf der eine Nahaufnahme eines Hinterns in einer sehr kurzen und sehr engen Hose der Marke Jesus Jeans zu sehen ist und auf der der Satz steht „Wer mich liebt, soll mir folgen“.

Plakat der Ausstellung "Oliviero Toscani: Fotografie und Provokation" im Museum für Gestaltung Zürich.

Plakat der Ausstellung „Oliviero Toscani: Fotografie und Provokation“

Bild: im Museum für Gestaltung Zürich

Das war bereits 1973 und somit zwölf Jahre vor seiner Zusammenarbeit mit Benetton, die eine Zäsur bedeutete. Toscani fotografierte für die Anzeigen ethnisch möglichst diverse Modellen und prägte den ursprünglichen Slogan „All the Colors of the World“, der später in „United Colors of Benetton“ umformuliert wurde. Die ersten Motive waren bunt und vielfältig, aber auch brav und fast ein wenig bieder wie beispielsweise die drei Kinder mit unterschiedlichen Hautfarben, die uns fröhlich ihre Zungen entgegenstreckten. Die Message war klar und hatte den Vorteil, dass die Anzeige kostengünstig auf der ganzen Welt gezeigt werden konnte.

Anzeigen wegen Sittenwidrigkeit verboten

Doch im Laufe der Zeit änderte sich das drastisch und es kamen provokantere Motive hinzu wie die Aufnahme, die drei Herzen zeigt, auf denen jeweils „White“, „Black“ und „Yellow“ steht. Oder die bereits erwähnte Nonne und der Priester. Und weil diese Anzeigen auf der ganzen Welt gezeigt wurden, waren die Reaktionen auch sehr unterschiedlich. Im katholischen Italien sorgten die Nonne und der Priester für einen riesigen Skandal, in Japan gab es hingegen nur ein Achselzucken. Auch in Deutschland wurden Anzeigen wegen Sittenwidrigkeit regelmäßig verboten, beispielsweise die mit einem ölverschmierten Vogel, zum Thema Kinderarbeit oder mit dem Foto eines Hinterns, auf dem der Stempel HIV abgedruckt war. Der Bundesgerichtshof stellte damals fest: „Wer Gefühle des Mitleids in so intensiver Weise wie in den beanstandeten Anzeigen zu kommerziellen Zwecken ausnutzt, handelt wettbewerbswidrig.“ Das fanden nicht alle gut und Zeitschriftenverlagen gingen Einnahmen durch fehlende Anzeigen verloren.

Toscani konnte die Prüderie nicht verstehen

Und auch Toscani selbst konnte diese Prüderie nicht verstehen. „Schlagen Sie die Zeitungen auf: Links die Berichte über Flüchtlinge, Krieg, Todeskampf, rechts daneben ein perfektes Bild von Claudia Schiffer in Chanel. Da herrscht Krieg, und die Werbung nimmt einfach keine Notiz davon. Wenn sich in 50 Jahren jemand die Zeitungen von heute ansieht, wird er die Welt nicht verstehen“, sagte Toscani im Interview mit der österreichischen Tageszeitung Der Standard.

Aber waren die Benetton-Anzeigen von Toscani wirklich eine Zäsur im wörtlichen Sinne? Oder bloß ein radikales, aber dennoch singuläres Phänomen? Schließlich bedeutet Zäsur, dass danach nichts mehr so ist wie es vorher war. Tatsächlich jedoch hat bis heute niemand mehr versucht (oder sich getraut), was Toscani und Benetton zusammen gemacht haben, nämlich die nahezu kompromisslose Vermischung aus Werbung, Journalismus und Kunst, aus Aufklärung und Verführung. Ganz im Gegenteil möchte man meinen, dass die Werbung im öffentlichen Raum vor allem eines geworden ist: langweilig. Ein bisschen mehr Toscani würde der Werbung genauso gut tun wie der öffentlichen Debatte.

An Amyloidose erkrankt

Heute ist Toscani gestorben. Er litt seit Jahren an der unheilbaren Hormon- und Stoffwechselerkrankung Amyloidose, die zu Organversagen führt - die letzten Fotos von ihm, die im Rahmen eines Interviews entstanden, zeigen ihn stark abgemagert und geschwächt. Dass er sie dennoch zur Veröffentlichung freigab, zeigt, dass er die Radikalität, für die er in seinem Werk bekannt war, auch im Privaten lebte.

Beitrage Teilen