Bruce Eesly: „New Farmer“
Die Ausstellung in der Croisière beim Fotofestival Arles zeigt Fotos, die wie Dokumentationen oder Werbebilder von Agrarkonzernen aus den 1960er Jahren wirken. Offensichtlich war das Forschen, Experimentieren und Manipulieren in der Landwirtschaft ein voller Erfolg und die Erträge wurden immer üppiger. Doch irgendwann kippen diese Bilder ins Surreale. Kann das, was wir sehen, wirklich sein? „New Farmer“ hinterfragt die vorherrschende Erzählung von der grünen Agrarrevolution durch den Einsatz von KI-generierten Bildern und verwischt dabei Fakten und Fiktion.
Cristina De Middel: Journey to the Center
Die Magnum-Fotografin Cristina De Middel gehört zu den großen fotografischen Geschichtenerzählerinnen unserer Zeit, wobei sie häufig Fakten und Fiktionen miteinander vermischt. Für „Journey to the Center“ bedient sie sich dieses Mal bei Jules Vernes Klassiker von der „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ und überträgt diese auf Flüchtlinge, die illegal von Südamerika in die USA migrieren. Die Ausstellung ist äußerst vielschichtig, unterhaltsam, intelligent und eindrucksvoll in der Église des Frères Prêcheurs inszeniert, aber man kann auch kritisch fragen, ob das Thema nicht viel zu ernst ist, um daraus eine Abenteuerreise zu machen.
Debi Cornwall: Model Citizens
Eine außergewöhnliche Arbeit an einem außergewöhnlichen Ort beim Fotofestival Arles: Wer „Model Citizens“ sehen will, muss einmal quer durch das Warenhaus Monoprix bis zur Damenunterwäsche-Abteilung laufen – von dort geht es die Stufen hinauf in die Ausstellung, in der sich Debi Cornwall mit Macht, Krieg und dem Selbstverständnis der USA beschäftigt. So hat sie auf Militärstützpunkten Scheindörfer fotografiert, in denen sich echte Soldaten auf ihre Einsätze vorbereiten und mit kostümierten afghanischen und irakischen Zivilisten Einsätze üben. Diese Bilder stellt sie Detailfotos von Dioramen in Kriegsmuseen gegenüber. Wie tragen Inszenierung, Performance und Rollenspiel zur Identitätsfindung in einem gewalttätigen Land bei, dessen Menschen sich nicht mehr einig sind, was wahr ist?
Diego Moreno: Malign Influences
Der Mexikaner Diego Moreno ist katholisch erzogen worden und war zehn Jahre lang Messdiener. Als er als Jugendlicher seine Homosexualität entdeckte, sah er sich mit all den Vorwürfen und Widersprüchen konfrontiert: Wie kann man ein guter Christ sein, wenn man gleichzeitig böse und vom Teufel besessen ist? Diese negative Energie nutzte Morena für eine Auseinandersetzung und verwandelte die Personen auf den eigenen Familienfotos in Dämonen: Mit diesen konnte er sich besser verbinden und identifizieren als mit seinen tatsächlichen Verwandten, die ihn und seine Sexualität ablehnten. Gezeigt wird die Arbeit in der Fondation Manuel Rivera-Ortiz.
Fashion Army
Direkt neben dem Bahnhof Arles kommt man aus dem Staunen kaum heraus: Die von Matthieu Nicol kuratierte Ausstellung zeigt Fotos der US-Armee aus den 1960er bis 90er Jahren, die wie Modefotos wirken. Männer und Frauen in Uniformen und Ausrüstung, die vor farbigen Studio-Hintergründen und in der Landschaft stehen. Aber warum und wofür wurden die Bilder aufgenommen? Mehr als 14.000 solcher Scans hat Nicol zusammengetragen, aber sowohl Zweck als auch Verwendung der Bilder bleiben weiter unbekannt und selbst die offiziellen Stellen beim Militär wissen nichts darüber. Das ist schräg und geheimnisvoll. Und auch sehr lustig.
Hans Silvester: Straight to the Point
Eine Fotoausstellung zum Thema Boule-Spielen? Was soll daran spannend sein? Doch weit gefehlt! Der deutsche Fotograf Hans Silvester hat in den 1970er Jahren das Boule-Spiel in der Provence fein beobachtet und dokumentiert und in dieser nur scheinbar einfachen Sportart so viele Facetten und Feinheiten entdeckt, dass es geradezu eine Freude ist, diese in der Ausstellung zu entdecken: Körperhaltung und Konzentration, das Spiel mit Licht und Schatten, Absurditäten und Geschlechterunterschiede, das Publikum und die Rituale um das Spiel herum sind rührend und begeistern zu gleich. Und allein der Ort, die Chapelle du Museon Arlaten, macht die Inszenierung noch ein wenig schräger.
I’m so happy you are here
Japanische Fotografie „genießt“ im Westen noch immer Exoten-Status und wenn sie hier wahrgenommen wird, sind es meist die männlichen Positionen. Diese Ausstellung „I’m so happy you are here“ im Palais de l'Archevêché richtet den Blick hingegen auf die weiblichen Protagonisten und das bereits ab 1950 bis heute. Diese Übersicht präsentiert ein breites Spektrum an fotografischen Ansätzen, die die Erfahrungen und Perspektiven von Frauen auf ihr eigenes Leben und auf die japanische Geschichte und Gesellschaft reflektieren. Die einzelnen Fotografinnen kommen zwar leider etwas kurz in der Ausstellung, weil sie nur mit wenigen Bildern vertreten sind, doch die Gesamtschau macht neugierig und Lust auf mehr.
Mary Ellen Mark: Encounters
Zweifelsohne die beste Ausstellung beim diesjährigen Fotofestival Arles: Mary Ellen Mark war eine der ganz großen Humanistinnen in der Fotografie, die allen Menschen mit der gleichen Unvoreingenommenheit und mit einem aufrichtigen Interesse zu begegnen schien – egal, ob es sich um Anhänger des Ku-Klux-Klans, feiernde Menschen in New York oder Frauen in einer geschlossenen Psychiatrie handelte. Die Ausstellung im Espace Van Gogh entstand in Kooperation mit C/O Berlin und wurde dort bereits gezeigt. Wer sie nicht gesehen hat, darf sie in Arles nicht verpassen.
Nicolas Floc’h: Rivers Ocean. The Landscape of Mississippi’s Colors
Eine gesamte Wand voll mit 72 Farbverläufe, angeordnet zu einem riesigen Tableau. Was zunächst einfach nur schön aussieht, hat einen wissenschaftlichen Hintergrund. Der Fotograf Nicolas Floc’h taucht durch die Gewässer dieser Welt und fotografiert diese in unterschiedlichen Tiefen. So auch beim Mississippi. Dabei entdeckte er, wie sich die Farbe im Flussverlauf stetig durch Sedimente und Pigmente, Landwirtschaft und andere Nutzung verändert. Damit macht er sichtbar, was für uns ansonsten verborgen bleibt. Kleine Randnotiz: Die Chapelle Saint-Martin du Méjan, in der die Ausstellung gezeigt wird, liegt ebenfalls direkt an einem Fluss, der Rhone.
Sophie Calle: Never give nor throw away
Bei einem Wasserschaden in ihrem Atelier wurden einige Arbeit von Sophie Calle stark beschädigt – unter anderem die eindrucksvolle Serie „Die Blinden“, für die sie Porträts von blinden Menschen ihren Aussagen, was für sie Schönheit sei, gegenüberstellt. Da sie diese defekten Werke aber weder verschenken noch wegschmeißen konnte, entschied sie sich, diese indirekt zu begraben, indem sie sie im unterirdisch gelegenen Kryptoportikus von Arles ausstellt. Dieser Ort ist ohnehin dunkel und feucht und wird die Bilder und Texte weiter zersetzen. Aber bis es soweit ist, sollte man sie sich noch anschauen gehen. Einziger Wermutstropfen: Die kurzen Texte sind nur auf Französisch.
Das Rencontres d’Arles
Das Rencontres de la Photographie in Arles läuft noch bis zum 29. September. Tagestickets kosten 33 Euro. Mit dem „All Exhibitions Pass“ für 40 Euro darf man während der gesamten Laufzeit jede Ausstellung einmal besuchen. Wer nur ein bis drei Ausstellungen sehen will, kommt mit den Einzeltickets zwischen 6 und 14 Euro eventuell günstiger davon. Außerdem sei jedem Besucher die App zum Festival empfohlen, in die man nicht nur seine Tickets, sondern auch Ausstellungen und Events speichern kann.
Noch mehr Infos und Eindrücke vom Rencontres de la Photographie d’Arles finden Sie auf unserem Instagram-Kanal.
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