Wenn es so etwas wie eine „demokratische Herangehensweise“ beim Porträt gibt, dann finden wir sie in den Close-Ups von Martin Schoeller. Ob Staatsoberhaupt oder Obdachloser, Sportler, Hollywood-Star oder New Yorker Drag Queen – der in New York lebende Deutsche zeigt uns sie alle aus der gleichen Perspektive: in Nahaufnahme, fokussiert auf Augen, Nase und Mund, mit einem direkten, aufrechten Blick in die Kamera.
Martin Schoeller macht Close-Ups ohne Starallüren
Wenn wir diesen starren Blicken – wie derzeit in der Berliner Galerie Camera Work – im Ausstellungskontext begegnen, dann werden all diese Menschen „larger than life“ im XXL-Format präsentiert. Natürlich eignet sich derlei Ikonographie der Menschen des 21. Jahrhunderts für Zeitschriften-Cover bei Time Magazine, dem Spiegel und anderen Top-Illustrierten der Welt. Doch ihre volle Wirkung entfalten die Bilder, wenn uns diese Augenpaare scheinbar im Raum fixieren und gleichwertig nebeneinander stehen. Ganz ohne einstudiertem Star-Gegrinse, ohne präsidentiellem Habitus oder Fußballgott-Gehabe.
„Wir sind uns alle viel ähnlicher als wir denken, haben alle oft die gleichen Ängste.“
Martin Schoeller
Nach einem kurzen Moment der Konzentration vor der Aufnahme wendet sich jeder Martin Schoellers Kamera zu und erscheint plötzlich total fokussiert. Klick! Thank you, Mister President, Merci, Messi! Sind sie sich wirklich bewusst, dass ihr nun gleichmäßig ausgeleuchtetes Porträt in einem Format von 155 x 125 cm ganz anders wirken wird als jedes andere Bild, das bislang von ihnen aufgenommen worden ist? Muss sich jeder der Porträtierten erst an diese Konfrontation mit seinem derart gespiegelten „Über-Ich“ gewöhnen?
„Wir sind uns alle viel ähnlicher als wir denken, haben alle oft die gleichen Ängste“, postulierte Martin Schoeller im vergangenen Jahr, als er im Mittelpunkt einer Filmdokumentation über seine Arbeit stand. Und vielleicht ist das eine der Lektionen nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit den Menschen vor seiner Kamera. Ob sie nur ein paar Minuten Zeit haben oder sich aus der Studiosession ein langes Gespräch entwickelt. Eines wurde in der jüngsten TV-Doku über diesen Porträtisten von Weltrang klar deutlich, das sich auch bei der ersten persönlichen Begegnung zeigt. Der 55-Jährige ist ein Mann mit Bodenhaftung, der trotz all seiner Kontakte zur Welt der Reichen und Schönen die Ränder der Gesellschaft nie aus den Augen verloren hat.
Martin Schoeller engagiert sich für Wohltätigkeitsprojekte und interessiert sich für die Menschen vor seiner Kamera. Ein Close-Up ist für ihn dabei oft das Entrée in die Lebensgeschichte eines Fremden.
Martin Schoeller bei der Camera Work Galerie
Bis zum 11. November 2023 zeigt die Berliner Galerie Camera Work mehr als 40 Close-Ups von Martin Schoeller. Ein Großteil dieser Porträts wird dort erstmals präsentiert.
favorite foto – der fotoMAGAZIN Podcast
Erfahren Sie mehr über Martin Schoeller in unserem Podcast. Wir haben uns mit dem Starfotografen getroffen und über die Anfänge seiner Karriere und den Weg zum Weltstar gesprochen.
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