Reportage: Mr. Microstock

Dieser Mann ist der „König der Stock Photography“. Der Fotograf, der heute weltweit die meisten Bilder verkauft. Zeit für ein Gespräch über fotografisches Fastfood. Wir besuchten Yuri Arcurs in seinem dänischen Mega-Studio.

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Die ganze Welt der Fotografie

Yuri Arcurs

Yuri Arcurs

Foto: © Yuri Arcurs

Text: Jesper Storgaard Jensen

Die Microstock-Industrie wird immer komplizierter. Seit Einführung des Konzepts der Kleinstpreise durch Fotoagenturen vor fünf Jahren sind die Bildhonorare extrem gesunken. Gleichzeitig muss der Fotograf der Agentur eine Abgaben abtreten und oft bleiben ihm nur 20 Prozent der Verkaufseinnahmen. Das bedeutet, dass nur Menschen wie ich wettbewerbsfähig sind, die entsprechend mit gutem Equipment, einem professionellen Studio und den besten Models arbeiten. Das ist eine ganz negative Entwicklung bei der Microstock-Fotografie. Der 33-jährige Yuri Arcurs aus Dänemarks zweitgrößter Stadt Aarhus wirkt bei seiner Marktanalyse für einen Augenblick ein wenig besorgt, aber nur ein wenig. Denn trotz aller Niedrigpreise für Microstock-Bilder und hoher Agentur-Provisionen hat er sich in der Branche Titel wie Mr. Microstock und King of Microstock verdient, weil seine Bildverkäufe so sensationell hoch sind.

"Heute verkaufe ich fast 6000 Fotos pro Tag", sagt jetzt Yuri mit einem schüchternen Grinsen. Der junge Mann besitzt einen unglaublichen Geschäftsinstinkt und ein Verständnis von fast schon industriell produzierter Agenturfotografie und Massenproduktion von Aufnahmen mit höchstem Qualitätsanspruch. "Kürzlich buchten wir mal ein Supermodel", berichtet Yuri. "Sie ist eines der Top 15-Models der Welt und kam aus Brasilien zu uns nach Aarhus. Wir zahlten ihr etwa 6000 Dollar für den dreitägigen Aufenthalt. Um dieses Investment zurückzubekommen, müssen wir 10.000 bis 15.000 Fotos jedes dieser Shootings verkaufen. Dank unserer Statistiken wissen wir, dass es durchschnittlich drei bis vier Jahre dauert, bis unsere Ausgaben reinkommen. Deshalb müssen wir bei der Aufnahme ans kleinste Detail denken:  Die Kleidung sollte so aussehen, dass sie über die Jahre Bestand hat, das Licht muss perfekt sein und vieles mehr."

Allein das Hochladen seines immensen Bildausstoßes nimmt viel Zeit in Anspruch. So verwundert es nicht, dass Yuris Produktionsfirma heute 80 Angestellte hat. Sieben Mitarbeiter kümmern sich hier ausschließlich um die Bild-Distribution, vier davon sind nonstop mit dem Uploading der neuesten Motive bei verschiedenen Bildagenturen beschäftigt. Der Bildschirm seines Mac-Computers listet dem Reporter auf Nachfrage per Mausclick etwa 200 Agenturen auf, mit denen der Fotograf derzeit weltweit kooperiert.

Der erste Megaseller

Yuri Arcurs war bereits über zwanzig Jahre alt, als er kurz eine kleine Fotoschule in Aarhus besuchte und dabei feststellte, dass er doch lieber Psychologie studieren wollte. Während seines Studiums an der Universität von Aarhus verdiente er dann etwas Geld mit PR-Fotos und lud eines Tages spaßeshalber einige Bilder bei verschiedenen Microstock-Agenturen hoch. Eines jener Bilder zeigte seine Freundin mit einer Tasse Kaffee im Gespräch mit einem Kumpel. Die entspannte Bürosituation hatte er aus einem ungewöhnlichen Bildwinkel aufgenommen. "Der Tisch auf diesem Bild war absolut schrecklich und sah aus wie ein Gartenmöbel", erzählt Yuri lachend. Doch dieses Foto traf den Nerv der Zeit und verkaufte sich zusammen mit drei bis vier weiteren Aufnahmen glänzend. Das Motiv wurde zu einem der meistverkauften Fotos der Welt. Plötzlich verdiente der Student mit seinen Agentur-Verkäufen nebenbei an die 1000 Euro pro Monat. Eines Tages im Jahr 2005 begann er, zwischen zwei Studienprüfungen zu analysieren, was sich verkaufte und warum er seine Verkaufshits hatte.

© Yuri Arcurs

Er beschloss, bewusst stärker an jenen Fotos zu arbeiten, die sich gut verkaufen und lud jetzt 200 bis 300 Bilder ins Netz. Und jetzt fing alles so richtig an. Yuri Arcurs monatliche Einnahmen sprangen plötzlich von 3000 Euro auf 5000 Euro, 7000 Euro, ja bereits 10.000 Euro. Als seine Nebeneinkünfte aus Lizenzgebühren 30.000 Euro erreichten, beschloss er, die Universität zu verlassen. Als Psychologe würde er schwerlich je so viel Geld verdienen. "Ich musste mich jetzt auf die Microstock-Fotografie konzentrieren und benötigte die Zeit um mich zu organisieren und professionell zu arbeiten", berichtet er.

Heute hat Yuri seine eigene Agentur

Bei Yuris gigantischem Bildausstoß, den niedrigen Preisen und hohen Abgaben an Agenturen ist es nicht einfach, langfristig konkurrenzfähig zu bleiben und die Verkaufszahlen hoch zu halten. Doch der Däne macht sich über negative Entwicklungen in der Branche keine Sorgen. Trotz schwieriger Marktbedingungen sind seine Verkäufe in den letzten fünf Jahren stabil geblieben. Um seine Abgaben an Bildagenturen zu umgehen, hat er im April 2012 seine eigene Bildagentur gegründet: Peopleimages.com. Wie der Name bereits andeutet, konzentriert er sich hier auf Bilder von Menschen. Heute hat Arcurs bereits 70.000 Motive auf seiner Website und freut sich nach eigenen Angaben eine monatliche Zuwachsrate seiner Abverkäufe von 50 Prozent.    

Warum Fotos sich wie Plastik anfühlen

Die Menschen auf Peopleimages.com leben in einer perfekten, einer heilen Welt. Sie sind jung und schön. Und falls sie mal tatsächlich älter sein sollten, bleiben sie immer noch hübsch. Bestrahlt vom ewigen Sonnenschein des Lebens lächeln sie uns glücklich aus den Bildern entgegen. Sie haben sichtbar Spaß und Vergnügen, strahlen positive Vibes aus. Darum geht es in der Welt der Microstock-Bilder. Yuri selbst hat diese einmal als das Fastfood der Fotografie bezeichnet. "Um einen perfekten Burger herzustellen brauchst Du dennoch die besten Zutaten", erklärt er selbstbewusst.

"Ich stoße bei etablierten Fotografen auf eine Menge Arroganz. Die gängige Meinung zur Stock Photography ist doch: Das ist einfach, das kann ich auch! Dann versucht man es und was dabei rauskommt ist fürchterlich: Harte Schatten, falsches Licht und vieles mehr. Plötzlich wird aus der Arroganz Ehrfurcht. Der Grund, warum sich Stock-Fotos sehr oft wie Plastik anfühlen ist, weil sie so perfekt sind. Das Licht muss knackig sein, die Farbbalance zu 100 Prozent korrekt. Es dürfen keine harten Schatten und kein Rauschen im Bildhintergrund sein. Die Interaktion zwischen den Models muss natürlich wirken, die Kleidung richtig ausgewählt sein. Ich behaupte, dass das Durchschnittsniveau der Stock Photography deutlich über dem Niveau der meisten Fotografen liegt!"

Eines der meistverkauften Fotos der Welt: Der Laptop auf dem Gartentisch mit einer Konversation unter Yuris Freunden.

© Juri Arcurs

Das perfekte Stock-Foto

Yuri Arcus sucht die Perfektion. Und die ist bekanntlich nicht leicht zu finden. Für ihn muss ein Foto ästhetisch ansprechend, sexy sein, neben aller technischer Perfektion realistisch, konzeptionell auf dem Punkt das heisst: es sollte leicht entschlüsselbare psychologische Mechanismen berücksichtigen. Yuri will ganz einfach Bilder mit Wow-Effekt. Die Models müssen seiner Meinung nach nicht unbedingt hübsch sein. Sie sollten jedoch ein offenes Gesicht haben, ein Zwinkern im Blick, Persönlichkeit und, wie er durchaus schwammig formuliert, etwas Attraktives haben. So wie Emma Wand, die 23-jährige Dänin, das Model mit den wohl meisten Downloads der Welt. Emma gestand kürzlich einem dänischen TV-Sender, dass ihr Freunde Mails schicken, wenn sie auf Reisen ihr Foto auf Postern, Billboards und ausländischen Zeitschriftentiteln sehen. Das passiert ständig. Bei Yuri ist das eigentlich ganz genau so. Neulich, berichtet der erfolgsverwöhnte Fotograf, habe er sich die David Letterman-Talkshow im US-Fernsehen angesehen. Und plötzlich sei im Bildhintergrund eines seiner Bilder aufgetaucht.  "In solchen Augenblicken habe ich noch immer dieses YES!-Gefühl", sagt er. 

Ich bin eine wandelnde Bilderbank

Hat man erst einmal eine Firma mit 80 Mitarbeitern aufgebaut, spielen kommerzielle Aspekte ganz unvermeidlich eine Rolle. Ist Yuri heute eher Geschäftsmann, als Fotograf? "Ich wünsche, es wäre so", sagt er relaxt in seinem Studio-Sessel. "Der Business-Aspekt ist über die Jahre zunehmend wichtiger geworden. Ich muss jedoch gestehen, dass meine DNA sehr fotografisch gestrickt ist." Dann erzählt er die Geschichte eines gut aussehenden jungen Mannes, der bei ihm mit dem Wunsch auftauchte, Model zu werden. Und Yuri begann sofort, ihn zu fotografieren: "Ich könnte ständig fotografieren. Ich bin wie eine wandelnde Bilderbank völlig neugierig und ständig voller Ideen." Als Beweis zeigt er eine Skizze für ein Shooting mit Menschen, die jemand tragen. Und legt ein Foto daneben, das die perfekte Umsetzung dieser Skizze ist – eine perfekte Metapher für Teamarbeit. Dennoch bleibt all dies natürlich vor allem ein großes Business. Yuris Tage sind heute mit bis zu elf Business Meetings und Besprechungen vollgestopft. An solchen Tagen sehnt er sich danach, abends ein wenig mit Photoshop am Computer rumzuspielen und an neuen Ideen zu tüfteln.

In einer Ecke seines Büros liegt beim Besuchstermin ein Bildband von Annie Leibovitz. Auf Nachfrage erzählt Arcurs jetzt noch von einem eigenen Buchprojekt, ein Praxisbuch für Fotografen. 400 Seiten dick soll es werden, vollgepackt mit Illustrationen zur Körpersprache und voller Tipps und Analysen zur erfolgreichen Stock Photography. Einen Dummy des Buches hat er gerade dem Taschen-Verlag angeboten. Zum Abschied verrät Yuri dem Besucher noch ein kleines Geheimnis: "In Wahrheit habe ich einen deutschen Namen: Jacob Yuri Wackerhausen. Mitte des 18. Jahrhunderts kam meine Familie aus Deutschland nach Dänemark, um hier Kartoffeln anzubauen und in Jütland in der Agrarwirtschaft zu helfen. Als ich erste Erfolge mit meinen Fotos hatte, hatte ich Probleme mit Stalkern. Deshalb legte ich mir damals einen anderen Namen zu, um Arbeit und Privatleben voneinander zu trennen. Das hat mir tatsächlich geholfen."   Jesper Stoorgard Jensen 

Factfile: Yuri Arcurs

Der 33-jährige Yuri Arcurs (alias Jacob Yuri Wackerhausen) ist als King of Stock Photography bereits heute eine Legende. Der am 27. Juli 1979 geborene Sohn eines Philosophie-Professors und einer Lehrerin hatte zunächst in Aarhus Psychologie studiert und sich mit Microstock-Fotos ein Zubrot verdient. Angesichts des enormen Erfolges seiner Bilder beschloss er, ein Business als Stock-Fotograf aufzubauen. Heute arbeiten 80 Angestellte für den Dänen. Yuri verkauft über 1,1 Millionen Bilder im Jahr. Zu seinen Kunden zählen Firmen wie Sony, Microsoft, Samsung und Zeitschriften wie Time Magazine. Der Perfektionist läuft leidenschaftlich gerne Marathon, gibt neben seiner Microstock-Fotografie Foto-Tutorials und lebt abwechselnd im dänischen Aarhus und in Kapstadt, Südafrika. Yuris oft fotografiertes Lieblingsmodel Cecile Skjold Johansen ist auch seine Verlobte und Lebensgefährtin.
Website des Fotografen: www.arcurs.com

Factfile: Microstock

Microstock- (auch: Micropayment-) Fotografie nennt sich die über Internet-Plattformen wie iStockphoto, Fotolia oder Shutterstock vermarktete Fotografie, bei der lizenzfreie Bilder zu Niedrigstpreisen vermarktet werden. Dieses Geschäftsmodell lebt davon, dass es heute enorm viele Kunden gibt, die für Cent-Beträge Agenturfotos ankaufen.

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2/2013.

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